Aktuelle Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe,

Systemsprenger verhindern. Wie werden die Schwierigen zu den Schwierigsten?

Cover: Systemsprenger verhindern. Wie werden die Schwierigen zu den ...
Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe (Hrsg.)

Aktuelle Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe, Bd. 103, 2016, DINA4, deutsch, 214 S.

ISBN: 978-3-88118-559-2
Printausgabe vergriffen

Inhalt

Im Mittelpunkt der Tagung standen u. a. folgende Fragen:

  • wann Kinder nach heutiger Diskussion "schwierig" und "Systemsprenger" sind,
  • was Risikofaktoren (früh)kindlicher Entwicklung sind und wie Anzeichen dafür frühzeitig erkannt werden können,
  • an welchen biografischen Punkten es Ansatzpunkte für die Jugendhilfe gibt, Systemsprenger zu verhindern, und wie ein "Umsteuern" möglich ist,
  • wie sich sozialpädagogische Fachkräfte produktiv mit der Dynamik des Scheiterns auseinandersetzen können und
  • was "Scheitern" aus entwicklungspsychologischer Sicht bedeutet und wie inklusiv "wir" schon sind.

Beziehungsgestaltung und die Macht zu entscheiden, wer ein Systemsprenger ist

Die inhaltliche Debatte begann mit einem persönlichen Statement von Franziska Krömer aus Hamburg. Sie sagte, bei der Beziehungsgestaltung müsse verstanden werden, welcher Sinn dem Verhalten der Jugendlichen zu Grunde liegt, das manchmal schwer auszuhalten und noch schwerer zu beeinflussen ist. Es sei wichtig für die Betreuer/innen herauszufinden, welches Leid hinter den Symptomen steht, um mit adäquaten Interventionen reagieren zu können und um Stigmatisierung zu verhindern. Beziehungsgestaltung sei mit Blick auf die Macht, die "wir" haben, mit einer großen Verantwortung verbunden, weil wir auch die Deutungsmacht darüber haben, ob wir sie als "schwierig" oder als "Systemsprenger" bezeichnen. "Damit wir Kinder und Jugendliche erreichen, müssen sie Vertrauen gewinnen und merken, dass wir sie nicht im Stich lassen und weiterreichen wollen. Dabei kommen wir an schwer zu überwindende Grenzen und sind darauf angewiesen, uns Hilfe von weiteren Spezialisten zu holen."

Professionalisierung, verfahrene Fälle, Glück und Pech

Prof. Dr. Mathias Schwabe, Evangelische Hochschule Berlin, hatte spannende Fachfragen, Beobachtungen, Forschungsergebnisse und Fallgeschichten im Gepäck. Zu diesen zählten u. a.:

  • (Wann und wie) Lässt sich das "Scheitern" von Erziehungshilfen voraussagen und beeinflussen?
  • Welche "Mächte" können stärker sein als "professionelles" Bemühen?
  • Wie viel "Glück" (d. h. nicht-machbares wie Genialität, Zufall, Fügung, Schicksal) braucht es, damit sich "verfahrene" Hilfen zum "Guten" wenden können?

Zur Beantwortung der Fragen stellte Prof. Schwabe sein derzeitiges Arbeitsmodell für Denken und Handeln mit den "Schwierigen" vor.

"Intensivpädagogik": Das Gegenteil von Inklusion?

Das Kernproblem der aktuellen Debatte über den Umgang mit "Systemsprengern" in einem inklusiven System sieht Prof. Dr. Menno Baumann von der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf darin, dass das Ziel der Inklusion eine Gesellschaft ist, in der jeder vollberechtigt teilhaben darf, auch wenn er oder sie im Vergleich zur Mehrheitsgesellschaft Besonderheiten aufweist. Dies gelte aber für Menschen mit Verhaltensstörungen nur sehr bedingt. Denn, genauso wie man darüber nachdenken muss, ob dieser Anspruch auch z. B. für Gewalttäter oder sexuell übergriffige Menschen gilt, muss man fragen, ob dieser Anspruch auch für "Systemsprenger" gilt. Bei Anwendung des gängigen Verständnisses von Inklusion auf die Zielgruppe der Kinder und Jugendlichen mit schwierigen Verhaltensweisen würde dies bedeuten, dafür zu sorgen, dass sie "normal" werden. Dieser Auftrag wäre aber unerfüllbar. Er schlussfolgerte, dass eine wie auch immer geartete Intensivpädagogik nicht das Gegenteil von Inklusion, sondern nur integraler Bestandteil jeder guten Pädagogik sein kann.

Aus dem Inhalt

Die "Unbändigen" nicht im Stich lassen! "Denn nur, wenn das Wissen vom Kopf in das Herz rutscht und ich es lebe, entsteht Haltung." Ein persönliches Statement

FRANZISKA KRÖMER, Hamburger Kinder- und Jugendhilfe e. V.

"Risikokinder" + "Risikofaktoren". Ergebnisse der Mannheimer Risikokinderstudie

PROF. DR. MED. KATJA BECKER, Philipps-Universität & Universitätsklinikum Marburg

Was tun, wenn Kinder und Jugendliche und Erziehungshilfen aneinander scheitern? Aktuelle Studienergebnisse

PROF. DR. REGINA RÄTZ, Alice-Salomon-Hochschule für Soziale Arbeit, Gesundheit, Erziehung und Bildung, Berlin

Professionalisierbarkeit, "unlösbare" Probleme und Kontingenzen: (Wann und wie) Lässt sich das "Scheitern" von Erziehungshilfen voraussagen und beeinflussen? Welche "Mächte" können stärker sein als "professionelles" Bemühen? Beobachtungen, Forschungsergebnisse und Fallgeschichten

PROF. DR. MATHIAS SCHWABE, Evang. Hochschule Berlin e. V.

"Intensivpädagogik" - das Gegenteil von Inklusion?

Versuch einer aktuellen Standortbestimmung

PROF. DR. PHIL. HABIL. MENNO BAUMANN, Fliedner

Fachhochschule Düsseldorf Leinerstift e. V., Evang. Kinder-, Jugend- und Familienhilfe,

Das Gehirn als Argument? Risiken und Chancen neurowissenschaftlicher Deutungsmuster schwierigen Verhaltens

PROF. DR. NICOLE BECKER, Pädagogische Hochschule Freiburg

Ansatzpunkte für die Kinder- und Jugendhilfe, "Schwierigste zu verhindern". Praxisbeispiele (Arbeitsgruppen)

AG "Kontextnahe Krisenintervention – Zwischen Kindeswohlgefährdung und Rückführung in die Familie."

Hilfe für Familien in Krisensituationen: Praxisbeispiel für die Verknüpfung von ambulanter/flexibler und stationärer Erziehungshilfe in Zusammenarbeit mit den Regionalteams des Potsdamer Jugendamtes

SABINE REISENWEBER, Jugendamt Potsdam;

GEORGIOS PAPADOPOULOS, Potsdamer Betreuungshilfe e. V.

AG "Gekommen, um zu bleiben. Mit Herz und Verstand."

Ein gemeinsames Projekt von Schule und Jugendhilfe an der Grundschule am Schäfersee in Berlin-Reinickendorf Ost

KARIN KANKELFITZ, Aufwind – Verein für ambulante Erziehungshilfen e. V.; OLAF RUTSCH, Schulpsychologisches Beratungszentrum Reinickendorf; JOSEF SCHREINER + GABRIELE SCHULZ, Jugendamt Berlin-Reinickendorf

AG "Sprungbrett" – Clearing für hochauffällig agierende Jugendliche. Modellprojekt des Jugendamtes Berlin-Neukölln und der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Vivantes-Klinikums am Friedrichshain

ROLAND ZEECK und KNUT SPORBERT, Aktion 70 - Jugendhilfe im Verbund, Berlin

AG "Entkoppelt vom System?" Jugendliche am Übergang in das Erwachsenenleben und die Herausforderungen für die Jugendhilfestrukturen

FRANK TILLMANN, Deutsches Jugendinstitut e. V., Halle (Saale)

Pädagogisch-fachliche Herausforderungen im Umgang mit schwierigen Kindern und Jugendlichen. Foren

Forum "Es kostet Mut, darüber zu sprechen …" Trauma + Traumafolgestörungen: Wieviel ist heilbar? Was hilft?

PROF. DR. MICHAEL KÖLCH, Vivantes Klinikum im Friedrichshain, Berlin

Forum "Die ewige Debatte des Nicht-Zuständig-Seins beenden!" "Systemsprenger/innen" + Schule. Die Klaviatur pädagogischer Unterstützungsmöglichkeiten für Kinder mit störenden Verhaltensweisen

PROF. DR. PHIL. HABIL. MENNO BAUMANN

Forum "Versucht meine Lebensgeschichte zu nutzen, anstatt sie mir vorzuwerfen!" Mit Kindern und Jugendlichen auf Ressourcensuche gehen und Motivation und Mitwirkungsbereitschaft fördern

SAMERA BARTSCH, Univation – Institut für Evaluation Dr. Beywl & Associates GmbH, Berlin;

SIMONE STROPPEL, Freie Evaluatorin und Gutachterin, Berlin

Forum "Kooperative Fachleute, kooperatives System?" Nicht zwischen den Hilfesystemen verloren gehen. Die Bedeutung von Kooperationen beteiligter Institutionen

BRITTA DISCHER, Lebenszentrum Königsborn, Unna

Forum "Auf sich selbst achten und sich Hilfe holen …" Als Fachkraft eigene Grenzen (frühzeitig) erkennen. Kollegiale Beratung und Supervision als Teil der Selbstfürsorge.

FRANZISKA KRÖMER

Literaturhinweise

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