Die Verantwortung der Jugendhilfe für Kinder von Eltern mit chronischen Belastungen
Inhalt
"Auszug aus dem Tagebuch einer Tochter mit schizophrener Mutter: 3. Januar 96: Das neue Jahr ist beschissen. Mama hat schon wieder einen völligen Tiefpunkt. Ich habe kein Bett mehr. Mama hatte nach dem Urlaub zu viel Energie und hat es abgebaut. Außerdem ist ständig der Strom abgestellt. Morgens kommt sie herein, obwohl ich Ferien habe. Die Heizung stellt sie auch immer ab. Es ist arschkalt hier. Abhauen? Aber wohin? Ach ja, viel Geld hat Mama von meinem Konto auch noch abgehoben."
(Aus dem Beitrag von Katja Beeck, siehe S.16/17)
"Wie gehen diese Kinder mit Ängsten und Unsicherheiten um? Wenn eine Mutter gesund ist, spürt sie, wenn ihre Kinder Sorgen haben oder unsicher sind. (…) Wenn Erwachsene psychisch krank sind, haben Eltern selbst zu viele Sorgen, so dass sie ihren Kindern wenig oder kaum Sicherheiten geben können. Möglicherweise spüren sie Ängste ihrer Kinder überhaupt nicht oder sie haben selbst zu viele Ängste, so dass es nur negative Wirkungen gibt. Die betroffenen Kinder leben mit vielen Ängsten. (…) Was hilft?"
(Aus dem Beitrag von Prof. Dr. Teresa Jacobsen, siehe S. 185)
Im Jugendhilfealltag werden zunehmend Probleme von Kindern, die mit chronisch belasteten Eltern zusammenleben, wahrgenommen: Kinder, die zum Beispiel in suchtbelasteten Familien leben, psychisch kranke Eltern oder jugendliche Mütter haben. Diese Erkenntnis führt aber in der Praxis noch nicht zu gezielten (strukturellen) Hilfeangeboten. Bisherige Lösungen werden oftmals noch als unzureichend eingeschätzt.
Ein besonderes Problem dabei ist, wie im Alltag eher unauffällige Kinder, deren Eltern chronische Störungen haben, erkannt werden können, welche Möglichkeiten diese Kinder haben, sich zu schützen, und was altersspezifisch bei der Entwicklung von Hilfeangeboten zu beachten ist.
Ziel der Tagung war es u.a., sich damit auseinander zu setzen, welche Wirkungen chronische Belastungen unter dem Aspekt von Entwicklungsgefährdung und von Entwicklungschancen auf das Alltagsleben betroffener Kinder und die Erziehungsfähigkeit ihrer Eltern haben, wie frühzeitig ein Hilfebedarf, auch bei "unauffälligen Kindern", identifiziert werden kann, welches Wissen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter im Umgang mit Kindern von chronisch belasteten Eltern brauchen und wie vorhandene Hilfestrukturen sinnvoll verknüpft werden können.
Aus dem Inhalt
- Vorwort: Kerstin Landua, Leiterin der Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe im Verein für Kommunalwissenschaften e.V., Berlin, und Dr. Jörg Maywald, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind e.V., Berlin
- Ohne Netz und Boden - Lebenssituationen von Kindern psychisch kranker Eltern: Reflexion und Perspektiven aus fachlicher Sicht und persönliche Erfahrungen
Katja Beeck, Dipl.-Medienberaterin, Gründerin von "Netz und Boden - Initiative für Kinder psychisch kranker Eltern", Berlin - Spezifische Störungsbilder chronisch belasteter Eltern und deren Auswirkungen auf ihre Erziehungsfähigkeit
Prof. Dr. med. Ulrike Lehmkuhl, Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow-Klinikum - Die Entstehung seelischer Erkrankungen: Risiko- und Schutzfaktoren
Prof. Dr. Jürgen Körner, Psychoanalytiker, Professor für Sozialpädagogik an der Freien Universität Berlin - Kinder und Eltern zwischen Psychiatrie und Jugendhilfe: Vorstellung von Forschungsergebnissen des Projektes KAFKA
Dr. Sabine Wagenblass, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Soziale Arbeit e.V. (ISA), Münster - Kinder aus suchtbelasteten Familien: Risiken, Resilienzen, Lösungen und Hilfen
Prof. Dr. Michael Klein, Professor für Klinische Psychologie und Sozialpsychologie an der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen, Abteilung Köln, Forschungsschwerpunkt Sucht - Impulsreferate in Arbeitsgruppen: Praxisbeispiele und Spezialangebote aus der Jugendhilfe
- AG 1: Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern - das Präventionsprojekt KIPKEL e.V. im Kreis Mettmann
Dr. med. Michael Hipp, Sozialpsychiatrischer Dienst Hilden; und Susanna Staets, Praxis für Kunst- und Kinderpsychotherapie, Haan - AG 2: Neue Ansätze der Pflegekinderarbeit - Patenschaften für Kinder psychisch kranker Eltern
Alexandra Szylowicki, PFIFF e.V., Förderverein für Pflegekinder und ihre Familien, Hamburg - AG 3: Präventiv gedacht: Das Kinderprojekt AURYN
Karin Schuhmann, Kinderprojekt AURYN, Bad Homburg - AG 4: Hilfeangebote für Kinder von Eltern mit chronischen Belastungen
Dr. Elisabeth Authmann, Gesundheitsamt der Stadt Köln, Beratungsstelle der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft - AG 5: Elternsüchte - Kindernöte, MAKS - ein Modellprojekt für die Arbeit mit Kindern von Suchtkranken
Helga Dilger und Katrin Brändle, Projekt MAKS, Freiburg i.Br. - AG 6: Aufsuchende systemische Familientherapie in Leipzig - auch eine Jugendhilfemaßnahme für chronisch belastete Familien
Sylvia Heumann, Allgemeiner Sozialer Dienst Leipzig-Nord, Jugendamt Leipzig - AG 7: Leben auf dem Trapez: Hörende Kinder gehörloser Eltern
Lisa Eidens, Erziehungshilfe e.V., Hamburg, und Astrid Müller, Deutsche Gesellschaft für grenzübergreifende Gehörlosen- und Hörbehindertenhilfe e.V., Flensburg
- AG 1: Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern - das Präventionsprojekt KIPKEL e.V. im Kreis Mettmann
- Gefährdung und Gewährleistung von Kindeswohl - ein juristischer Blick auf Schutz, Hilfe und Kooperation
Dr. Thomas Meysen, Fachlicher Leiter des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. (DIJuF), Heidelberg - Vernetzte Angebote für Kinder von Eltern mit chronischen Belastungen: Auxilium Hamm - eine Facheinrichtung für drogengefährdete Jugendliche
Ralf Wilczek, Stellv. Leiter der Therapeutischen Wohngruppen Auxilium, Malteser Werke gGmbH, Hamm - Vernetzte Angebote für Kinder von Eltern mit chronischen Belastungen: Präventive Hilfen für jugendliche Mütter
Dr. Ute Ziegenhain, Pädagogische Leiterin und Forschungskoordinatorin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm - Zum Umgang mit Kindern aus Hochrisikofamilien in den USA
Teresa Jacobsen, Ph. D., Professorin für Psychologie, Universität von Illinois in Urbana-Champaign, School of Social Work, Illinois, USA
Aktuelle Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe, Bd. 49, 2005, deutsch, 209 S., Deutsches Institut für Urbanistik 2005