Das verflixte siebente Jahr. Erfahrungen der Jugendhilfepraxis mit der Kindschaftsrechtsreform
Inhalt
"Früher war es selbstverständlich, dass Mütter in der Beratungsstelle auf die Frage ‚Wo ist der Vater?' geantwortet haben: 'Den Vater gibt es schon lange nicht mehr.', was soviel hieß wie: ‚…den braucht ja auch kein Schwein'. Und weiter: ‚Das ist viel besser so, dass das jetzt so ist, das Kind kennt den nicht und hat ihn auch vergessen und den braucht man nicht'. Ich habe vor 15 Jahren auch kaum Väter in meiner Praxis gehabt. Väter, die sich darüber beklagen, dass sie ihre Kinder nicht sehen können, das hat es kaum gegeben. Heute werden wir von ihnen geradezu überschwemmt. (…)
Allein die psychische Situation nach der Trennung ist sowohl für Väter als auch Mütter manchmal furchtbar, weil es ja eine Trennung ist und einer allein zurückbleibt und einem, wenn die Beziehung noch so schlecht war, ein Stück Leben aus dem Herzen gerissen worden ist. Das ist eine Situation, in der man Menschen braucht, bei denen man das Gefühl hat, dass diese zu mir stehen. (…)
Eines ist klar: Eine Beratung ist überhaupt nur sinnvoll, wenn sie auf jemanden trifft, der von mir in irgendeiner Form beraten werden will. (…) Also werden wir unsere Klienten auch fragen: Welchen Auftrag haben Sie? Nur in diesem Auftrag steckt das Bedürfnis, das dazu führt, dass sie sich auch von uns beraten lassen, und diese Beratung ist dann im weitesten Sinne eine Befriedigung dieses Bedürfnisses.
Das Problem ist: In den geschilderten Situationen sind wir oft damit konfrontiert, dass bei den Eltern Bedürfnisse exis-tieren, die vielleicht als Aufträge bewusst oder unbewusst an uns herangetragen werden, die aber unserer fachlichen Ansicht nach nicht dem Kind dienen, sondern unter Umständen für das Kind bedenklich sind. Was tun wir dann?"
(siehe Beitrag von Dr. Helmuth Figdor)
Anliegen der Tagung war es, sieben Jahre nach Inkrafttreten der Gesetze zur Kindschaftsrechtsreform darüber zu diskutieren, wie die Jugendhilfepraxis mit den dort festgeschriebenen Regeln und Verfahrensweisen umgeht, welche Probleme es gibt, welcher Weiterentwicklungsbedarf besteht und welche innovativen europäischen Verfahrensweisen es mit dem dort geltenden Kindschaftsrecht gibt. Im Mittelpunkt der Tagung standen folgende Aspekte:
- Hochstrittige Fälle
- Begleiteter Umgang; Umgangsrecht; Verfahrenspflegschaft
- Modell der gemeinsamen elterlichen Sorge
- Vollstreckung von familiengerichtlichen Entscheidungen
- Interesse und Bedürfnisse des Kindes
- Internationales Familienrecht.
Aus dem Inhalt
Vorwort:
Ministerialrat Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Wiesner, Leiter des Referates Kinder- und Jugendhilferecht, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Berlin
Fachreferate:
- Kindheit, Familie und Kindschaftsrecht: Trennungskinder im Kontext rechtlicher, gesellschaftlicher und individueller Entwicklung
Dr. Thomas Meysen, Fachlicher Leiter des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht, Heidelberg - Kindschaftsrecht konkret: Erste Tendenzen aus dem Forschungsprojekt "Fortentwicklung der Jugendhilfepraxis"
Barbara Mutke, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Sozialpädagogik, Technische Universität Berlin, und
Britta Tammen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachbereich Sozialpädagogik, Fachhochschule Darmstadt
Inputreferate in den Arbeitsgruppen:
- AG 1: Hochstrittige Elternkonflikte - Kapitulation oder Hilfe?
Peter S. Dietrich, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam - AG 2: Verfahrenspflegschaft - eine gelungene Lösung? Was ist aus dem Anwalt des Kindes geworden?
Dr. Manuela Stötzel, Psychologische Sachverständige, Institut für Gericht und Familie Berlin/Brandenburg; Mitglied im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Verfahrenspflegschaft für Kinder und Jugendliche - AG 3: Begleiteter Umgang in Europa - Eine Herausforderung, unterschiedliche Lösungswege
Mechthild Gödde, Psychologische Sachverständige, Mediatorin und Familientherapeutin in Landsberg am Lech, Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft "Begleiteter Umgang" - AG 4: Beratung und Informationsweitergabe an das Familiengericht. Konzept des Zusammenwirkens zwischen Jugendamt, Familiengericht, Anwälten und betroffenen Familien
Käthe Brunner, Leiterin des Jugendamtes der Stadt Jena - AG 5: Richterliche Eingriffsmöglichkeiten im Rahmen von streitigen Umgangsregelungen sowie zur Durchsetzung von familiengerichtlichen Entscheidungen
Gretel Diehl, Richterin am Oberlandesgericht Frankfurt/Main, 1. Senat für Familiensachen - AG 6: Zwangskontexte in der Beratung
Matthias Weber, Leiter der Erziehungs-, Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle des Bistums Trier - AG 7: Beratungsangebote der Beistände an der Schnittstelle zum Aufgabenbereich des Allgemeinen Sozialen Dienstes
Britta Tammen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachbereich Sozialpädagogik, Fachhochschule Darmstadt
Fachreferate:
- Zwangsweise Durchsetzung von Umgangskontakten aus Sicht des Kindes
Dr. Helmuth Figdor, Psychoanalytiker, Kinderpsychotherapeut und Erziehungsberater, Dozent am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Psychoanalytische Pädagogik, Wien - Zur Kontroverse um den § 1626a BGB: Gemeinsame elterliche Sorge ab Geburt im internationalen Vergleich
Eberhard Carl, Richter am Oberlandesgericht Frankfurt/Main, Familienmediator, Bundesministerium für Justiz, Berlin
Diskurs zum Thema: Welche Autorität hat das Recht? Anspruch und Alltagspraxis im Umgang mit familiengerichtlichen Entscheidungen
Literaturhinweise
Aktuelle Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe, Bd. 54, 2005, deutsch, 192 S., Deutsches Institut für Urbanistik 2005