Ohne Wohnungsversorgung fehlt für die Integration eine wichtige Basis
Fluchtzuwanderung ist ein elementarer Bestandteil unserer Migrationsgesellschaft. Deutschland hat in den vergangenen Jahren eine große Zahl von Asylsuchenden und Geflüchteten aufgenommen – allein aus der Ukraine sind seit 2022 mehr als eine Million Menschen nach Deutschland geflohen. Mit über 300.000 Asylsuchenden stieg die Zuwanderung im Jahr 2023 auf den höchsten Wert seit 2016. Aktuell geht die Dynamik zurück, möglicherweise als Folge intensiverer Grenzkontrollen. Die Aufnahme von so vielen Schutzsuchenden in kurzer Zeit stellt Bund, Länder und Kommunen vor zahlreiche Herausforderungen. Dies bestätigt auch das aktuelle „OB-Barometer 2024“ des Difu. Nach Einschätzung der Stadtspitzen gehört die Frage der Unterbringung und Integration von Flüchtenden und Asylsuchenden aktuell und künftig zu den größten Herausforderungen für die deutschen Kommunen. Auch die kürzlich veröffentlichte Kommunalumfrage zur Bedeutung und Situation von Ankunftsquartieren nennt Schwierigkeiten beim Übergang von der Unterbringung in den freien Wohnungsmarkt sowie Wohnungslosigkeit als größte Herausforderungen, vor denen Zugewanderte beim Thema Wohnen stehen.
Die Kommunen organisieren die Unterbringung und Versorgung Zugewanderter unterschiedlich: Nicht jede Kommune fördert die Integration Geflüchteter in den Wohnungsmarkt gleichermaßen. Auch Ankommensprozesse werden unterschiedlich intensiv unterstützt, Ankunftsquartiere mehr oder weniger akzeptiert und gestärkt. Dies hängt u. a. davon ab, ob in der Stadtgesellschaft Verteilungs- und Gerechtigkeitsdiskussionen befürchtet oder zur Stärkung des sozialen Wohnens ausgetragen werden.
Tatsache ist, dass ein gedeihliches Zusammenleben und sozialer Zusammenhalt in der Migrationsgesellschaft stark vom Gelingen der Integration geflüchteter Menschen abhängen. Dabei ist die Versorgung mit ausreichendem, gutem und bezahlbarem Wohnraum wichtige Voraussetzung. Wohnen ist – neben Arbeit und (Aus-)Bildung – ein Grundpfeiler für Integration. Es geht um mehr als die reine Unterbringung der Menschen, es geht um Teilhabe und Teilnahme am gesellschaftlichen Leben – einschließlich erforderlicher Rückzugsräume und Privatsphäre.
Bedarfe unterschiedlicher benachteiligter Gruppen kennen und berücksichtigen - Konkurrenz und Exklusion vermeiden
Auch aktuell gibt es immer noch Geflüchtete, die seit 2015 in Deutschland leben und keine Wohnung gefunden haben. Fachleute sprechen von einer „Auszugskrise“ in den Unterkünften. Es scheint eine Kluft zwischen den ambitionierten integrations- und wohnungsmarktpolitischen Zielen und deren Umsetzung zu geben. Beispiele in Köln, Hamburg, Berlin und Lübeck zeigen jedoch, wie im Schulterschluss mit der Wohnungswirtschaft, sozialen Trägern und Ehrenamt – sowie im Rahmen von Modellprojekten oder landeseigenen Förderprogrammen und -initiativen – der Zugang zu Wohnraum gelingen und Integration gefördert werden kann. Nicht alle Kommunen haben die dafür erforderlichen Voraussetzungen oder können notwendige Maßnahmen umsetzen. Eine große Herausforderung ist der vielerorts angespannte Wohnungsmarkt, der zu einem Mangel an bezahlbarem und bedarfsgerechten Wohnraum führt. Zudem ist es durch fehlende Informationen, Diskriminierung, Intransparenz sowie komplexe Zugangskriterien zu verschiedenen Wohnsegmenten vor allem für geflüchtete und zugewanderte Menschen schwierig, Wohnungen zu finden.
Neben dem Angebotsproblem gibt es auch ein massives Zugangsproblem: So sind Aufenthaltsstatus und -dauer neben Einkommen oder Staatsangehörigkeit häufig entscheidend dafür, ob ein Anspruch auf eine geförderte Wohnung geltend gemacht werden kann. Darüber hinaus gibt es finanzielle Anforderungen, wie z.B. Kaution und Provision, die meist nur über persönliche oder Community-Netzwerke geleistet werden können. Oft sind Geflüchtete daher beim Übergang von der Unterbringung in den privaten Wohnungsmarkt in prekären Wohnsituationen, in denen sie mit überbelegten Wohnungen, Rechtsunsicherheiten oder hohen Mietkosten zu kämpfen haben.
Dies zeigt, wie schwierig der Übergang von einer temporären Unterbringung in dauerhaftes Wohnen ist. Wohnen ist wichtig, um Integration in der Migrationsgesellschaft zum Erfolg zu bringen. Dabei sind auch Quantität, Qualität, Standards und Angemessenheit des Wohnraums zu berücksichtigen. Gleichermaßen wichtig ist der Zugang zu Wohnraum. Und es muss berücksichtigt werden, um wen es geht. Denn neben Geflüchteten oder Migrant*innen gibt es viele andere Menschen in sozial prekären Lebenssituationen. Initiativen und Maßnahmen für soziales, bezahlbares Wohnen müssen die verschiedenen Bedarfe unterschiedlicher benachteiligter Gruppen kennen und berücksichtigen, zwischen diesen abwägen sowie Konkurrenz und Exklusion vermeiden. Es geht nicht (primär) darum, spezielle Wohnungen für Geflüchtete zu schaffen – im Gegenteil, das würde in der Migrationsgesellschaft ein Gerechtigkeits- und Verteilungsproblem schaffen und die ohnehin schwierige Debatte weitere anheizen.
Welche Handlungsmöglichkeiten haben Kommunen?
Was können Kommunen tun, die besonders gefordert sind, wenn es darum geht, Wohnraum bereitzustellen und Zugänge zu erleichtern? Sie benötigen Zugang zu Grundstücken, um bezahlbaren Wohnraum für alle – auch für Geflüchtete – bereitstellen zu können. Da die Wohnungsversorgung Geflüchteter eine Gemeinschaftsaufgabe aller Akteur*innen des Wohnungsmarkts ist, geht es darum, Allianzen und Bündnisse aufzubauen oder zu stärken, insbesondere mit der Wohnungswirtschaft. Um die Integrationskraft des Wohnens zu stärken, braucht es zudem Brücken in die Stadtgesellschaft. Soziale Träger und Ehrenamt leisten Enormes beim Aufbau und der Umsetzung der für den Wohnraumzugang erforderlichen Unterstützungsleistungen. Alle zusammen benötigen Energie für den Sprint, um kurzfristig Lösungswege zu eröffnen sowie einen langen Atem für den erforderlichen Marathon der dauerhaften Wohnraumversorgung. Das Handeln angesichts dynamischer Prozesse und lückenhafter Datengrundlagen ist und bleibt eine Herausforderung. Eine stärkere Zusammenarbeit verschiedener Ressorts auf kommunaler und föderaler Ebene – Wohnen, Integration, Stadtentwicklung – ist gefordert.
Notwendig ist nicht zuletzt eine Veränderung von Denkweisen. Viele Vermietende haben Vorbehalte: Sind Geflüchtete gute Mieter? Sind sie solvent und vertrauenswürdig? Wie gehen sie mit der Wohnung um? Hier können öffentliche Antidiskriminierungsinitiativen rechtliche Informationen und Unterstützung sowohl für die Zielgruppe anbieten als auch Vermietende sensibilisieren. Ein Dialog zwischen Stadtverwaltung, Wohnungsunternehmen, Forschung, NGOs und Interessengruppen schafft Räume, um über aktuelle Praktiken zu diskutieren, neue Allianzen zu bilden und alternative Handlungswege für eine inklusivere Wohnpolitik zu fördern. In Hamburg kann sich beispielsweise jede Person, die eine sichere Aufenthaltsgenehmigung für mehr als sechs Monate besitzt, um eine Wohnung der städtischen Wohnungsbaugesellschaft SAGA bewerben. In Wien schließt die städtische Wohnungsbaugesellschaft Wiener Wohnen mit NGOs Mietverträge ab. Die Wohnungen im gemeinnützigen Wohnungsbau werden jahresweise an Geflüchtete untervermietet. Anschließend können die Bewohner*innen einen unbefristeten Vertrag abschließen.
Passende Wohnsituationen erhöhen die Chancen für eine erfolgreiche Integration
Die Anerkennung Geflüchteter als Mieter*innen sollte auch Hand in Hand damit gehen, Partizipation zu ermöglichen: Das Leben in „Übergangssituationen“ ist oft von langer Dauer. Geflüchtete sollten an Entscheidungen über ihre Wohnsituation mindestens beteiligt werden. Dies kann auch bewirken, dass Wohnbedürfnisse der Geflüchteten besser eingeschätzt werden können. Auf der Basis können Angebote, z.B. für Familien oder junge Menschen, angepasst und so die Chancen für eine erfolgreiche Integration erhöht werden.
Vorabveröffentlichung aus dem Difu-Magazin Berichte 2/2024