Vom Willkommensbesuch zum verpflichtenden Hausbesuch. Veränderte Auftragslage für die Jugendhilfe (durch das Kinderschutzgesetz)?
Eine Praxisdebatte zu aktuellen Fragestellungen im Kinderschutz
Aktuelle Beiträge zur Kinder- und Jugendhilfe, Bd. 73, 2009, deutsch, 132 S., Deutsches Institut für Urbanistik 2009
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Inhalt
Was (ist zu) tun?
Am 18./19. Juni 2009 veranstaltete die Arbeitsgruppe Fachtagungen Jugendhilfe im Deutschen Institut für Urbanistik im Ernst-Reuter-Haus in Berlin die im Titel genannte Fachtagung. 180 interessierte Fachkräfte aus der Kinder- und Jugendhilfe folgten dieser Einladung, obwohl klar war, dass bis zum Tagungszeitpunkt das Gesetzgebungsverfahren noch nicht abgeschlossen sein würde. Was tun? Die nahe liegende Lösung war, gemeinsam eine praxisnahe Fachdebatte zu aktuell diskutierten Fragestellungen des Kinderschutzes zu führen.
Was sagt "die Jugendhilfe-Praxis"?
Bruno Pfeifle, Leiter des Jugendamtes Stuttgart, verwies darauf, dass bei der Debatte über ein Kinderschutzgesetz insbesondere der "verpflichtende Hausbesuch" fachpolitisch kontrovers diskutiert werde. Seiner Meinung nach müsse ein Hausbesuch im "Kinderschutzfall" an fachlichen Überlegungen ausgerichtet sein und solle nicht allein aufgrund gesetzlicher Verpflichtung erfolgen.
Was sagt "die Wissenschaft"?
Prof. Dr. Christian Schrapper, Universität Koblenz-Landau, referierte über "Örtliche Fallpraxis, Risikomanagement und ein Bundeskinderschutzgesetz" und beantwortete seine abschließende Frage: Braucht die örtliche Fallpraxis ein Bundeskinderschutzgesetz? so:
- Ja, die örtliche Fallpraxis benötigt dringend verbindliche Orientierungsnormen für Strukturen, Arbeitsweise und Instrumente fachlicher Arbeit.
- Nein, die örtliche Fallpraxis benötigt keine Sanktionstatbestände und Institutionen entlastende Vorgaben.
- Ja, die örtliche Fallpraxis benötigt einen an den Lebens- und Teilhaberechten von Kindern orientierten Rahmen für notwendige Ausstattung/Ressourcen.
- Nein, die örtliche Fallpraxis benötigt keine Mindeststandards für Ausstattung.
- Ja, die örtliche Fallpraxis benötigt Verfahrensstandards für Qualitätsentwicklung und Wirkungskontrolle.
Nach der Tagung
Die kurze Zeit seit der Durchführung dieser Tagung hat gezeigt, dass die Diskussion über das Kinderschutzgesetz noch längst nicht beendet ist. Es gibt vielfältige Stimmen aus Politik und Praxis, die aus ihren professionellen Sichtweisen heraus viele im Gesetz vorgesehene Aspekte befürworten und gern in einem Kinderschutzgesetz verankert sehen würden. Durch neue Fälle von Kindeswohlgefährdung und -misshandlung wird diese Debatte ebenfalls immer wieder neu angestoßen. Derartige Fälle waren auch der Anlass für ein neues Forschungsprojekt des Bundes zur Unterstützung der Kommunen in diesem - auch von der Öffentlichkeit - mit großer Aufmerksamkeit und Anteilnahme verfolgten Handlungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe.
Aus Fehlern lernen. Qualitätsmanagement im Kinderschutz.
Dieses Projekt bietet keine Patentrezepte an, sondern hat die feste Absicht, sich den mit dem Kinderschutz verbundenen Herausforderungen, wie z.B. der Vermeidung von Bruchstellen und strukturellen Schwächen in der Zusammenarbeit mit der konfliktbelasteten familialen Lebenswelt wie im gesamten professionsübergreifenden Hilfesystem, zu stellen und damit die Praxis handlungssicherer "zu machen".
Was Vertreter weiterer Professionen z.B. aus kinderärztlicher oder juristischer Sicht zu dieser Debatte beitragen und wie sich auch andere kommunale Praktiker/innen positionieren und vor Ort agieren, ist in dieser Dokumentation nachzulesen und soll Ihnen aus dieser Tagung heraus einfach Impulse und Anregungen vermitteln, was zu tun ist …
Aus dem Inhalt
Eröffnung:
BRUNO PFEIFLE, Leiter des Jugendamtes Stuttgart
Örtliche Fallpraxis, Risikomanagement und ein Bundeskinderschutzgesetz
PROF. DR. CHRISTIAN SCHRAPPER, Erziehungswissenschaftler, Fachbereich Erziehungswissenschaften, Universität Koblenz-Landau
Vorstellung der im Mai 2009 von der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände verabschiedeten "Empfehlungen zur Festlegung fachlicher Verfahrensstandards in den Jugendämtern bei Gefährdung des Kindeswohls"
THOMAS KRÜTZBERG, Leiter des Jugendamtes Duisburg
Jugendhilfe zwischen Deregulierung und Überregulierung. Pro und Contra zur Frage: Was bedeutet es gesamtgesellschaftlich, wenn der Kontrollaspekt weiter verschärft wird? Welche Folgen hat das?
Ein Streitgespräch zwischen
BRUNO PFEIFLE, Leiter des Jugendamtes Stuttgart, und
HANS-RUDOLF SEGGER, Verwaltungsvorstand Landkreis Goslar, Dezernent für Jugend und Soziales, Gesundheit und Verbraucherschutz, Bildung, Kultur und Sport, Personal, Organisation und Finanzen
"Bei Vorliegen gewichtiger Anhaltspunkte … in Augenschein zu nehmen …" Der Hausbesuch nach dem Kinderschutzgesetz
KLAUS RUFFING, Leiter des Kreisjugendamtes des Saarpfalz-Kreises
Der Willkommensbesuch in Gelsenkirchen. "Stärkung der Familienkompetenz und erfolgreiche Familienerziehung durch Familienbildung und Früherkennung von Problemlagen" - Konzept für die Familienförderung/Familienbildung der Stadt Gelsenkirchen
ALFONS WISSMANN, Referatsleiter Erziehung und Bildung der Stadt Gelsenkirchen
Verflechtung des Kinderschutzgesetzes mit den Länderregelungen: Gemeinsamkeiten und Unterschiede, Probleme in der Umsetzung
PROF. DR. PHIL. DR. JUR. REINHARD JOACHIM WABNITZ, Ministerialdirektor a. D., Fachbereich Sozialwesen, Fachhochschule Wiesbaden
Einblick in die Arztpraxis niedergelassener Kinderärzte: Was erwarten Ärzte von der Jugendhilfe im Zusammenhang mit der Umsetzung des Kinderschutzgesetzes?
KLEMENS SENGER, Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Berlin
Kinderschutz unter Steuerungsaspekten
JOHANNES HORN, Leiter des Jugendamtes Düsseldorf
Risikomanagement statt Kinderschutz: Erfahrungen aus Großbritannien. Oder: "Wenn Familien Feinde des Staates werden"
PROF. DR. SILKE SCHÜTTER, Professorin für Sozialpolitik an der Hochschule Niederrhein, Mönchengladbach
Aus Fehlern lernen. Qualitätsmanagement im Kinderschutz: Ein neues Forschungsprojekt des Bundes zur Unterstützung der Kommunen
MAREIKE PATSCHKE und STEFAN HEINITZ, Wissenschaftliche/r Mitarbeiter/in, Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung e.V./Alice Salomon Hochschule Berlin
CHRISTINE GERBER, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Nationalen Zentrum Frühe Hilfen/Deutsches Jugendinstitut e.V., München
Literaturhinweise