Informationen zur modernen Stadtgeschichte (IMS),

Stadt und NS-Zeit in der DDR und in den neuen Ländern

Cover der Publikation

Informationen zur modernen Stadtgeschichte (IMS), Bd. 1, 1999, 72 S., Deutsches Institut für Urbanistik 1999

Inhalt

Zum thematischen Schwerpunkt dieses IMS-Heftes heißt es in dem Leitartikel von Jürgen John (Jena) u.a.: "Während sich in der Bundesrepublik eine kritische Zeitgeschichtsforschung entwickeln und der NS-bezogenen Stadtgeschichtsschreibung das methodische Rüstzeug gegen das Verdrängen und Vergessen liefern konnte, war sie in der DDR reglementierenden Staats- und Parteivorgaben und den Axiomen eines lange Zeit dogmatisch gehandhabten marxistischen Geschichtsverständnisses unterworfen. Zwar vollzog sich auch in der DDR in den 1970er/80er Jahren eine partielle Trendwende zu mikroanalytisch angelegten regional-, sozial-, alltags- und kulturgeschichtlichen Forschungen, von denen neue Impulse auf die Stadtgeschichte ausgingen. Die zeitgleiche Erbe- und Traditions-Debatte der Historiker setzte in vieler Hinsicht neue Akzente. An der NS-Forschung und der NS-bezogenen Stadthistoriographie ging dieser Trend von einem geweiteten Blick auf den Widerstand und einer stärkeren Beachtung der jüdischen Opfer abgesehen jedoch überwiegend vorbei.

Zumindest schlug er sich kaum öffentlich und publizistisch nieder. Denn das Verlags- und Publikationswesen der DDR unterlag noch weit stärker als die Forschung den Traditionsvorgaben und der Kontrolle zentraler oder regionaler Leiteinrichtungen und SED-Geschichtskommissionen. Neue Forschungsergebnisse über den Nationalsozialismus blieben häufig unveröffentlicht. In repräsentative Stadtgeschichten fanden sie kaum Eingang. Öffentliche Stellen zeigten sich meist desinteressiert, solch 'negatives Erbe' kritisch aufzuarbeiten und öffentlich zu präsentieren. Auch fürchteten sie, damit das jugendliche Interesse an der NSZeit zu schüren. Im Vordergrund stand die Pflege antifaschistischer und zu legitimatorischen Zwecken 'gesäuberter' Traditionen. So entstand zwar ein über Staatsakte, Gedenkstätten, Traditionskabinette, Schulen und Publikationen verbreitetes Antifaschismus-, aber kein angemessenes öffentliches Faschismusbild.

So grundsätzlich die öffentliche Geschichtskultur der DDR sich mit dem Faschismus und seiner nationalsozialistischen Variante auseinandersetzte, so wenig schenkte sie seiner realen Gestalt Aufmerksamkeit. Das facettenreiche Gesamtspektrum des NS-Systems und der NS-Alltag vor Ort blieben weitgehend außer Betracht. Die nachwachsenden Generationen gewannen so ein recht verzerrtes Bild vom 'gewöhnlichen Faschismus'. Den älteren bot dies einen bequemen Weg, die eigene NS-Vergangenheit weiter zu verdrängen. Die DDR-Faschismusforschung konnte dem nur begrenzt entgegenwirken. Auch sie stand im Schatten des Antifaschismus-Postulats. Sie war zudem auf einen recht starren, sozialökonomisch und formationstheoretisch ausgerichteten 'Faschismus'-Begriff festgelegt. Die Regional-, Gau- und Stadtgeschichte gehörte deshalb zu ihren ausgesprochenen Stiefkindern.

Dazu trugen auch die Axiome der marxistischen Regional- und Stadtgeschichtstheorie längere Zeit ihr Scherflein bei. Sie ging von im 20. Jahrhundert weitgehend eingeebneten regionalen und städtischen Milieus aus und nahm neue Regionalisierungstendenzen - auch und gerade der NS-Zeit - nicht oder nur als Variante zentralisierender Prozesse wahr. So vermutete sie kaum noch städtische Eigenentwicklung und verstand die Stadt des 20. Jahrhunderts vor allem als örtlichen Lebensraum im Formationswechsel vom Kapitalismus zum Sozialismus. Zwar registrierte sie nun weitgehend städtisch geprägte gesellschaftliche Lebensbereiche. Doch wies sie die Urbanisierungsforschung und ein sozial- und kulturgeschichtliches Verständnis der Kategorie 'Stadt' weit von sich. Es gäbe weder eine 'Stadt an sich' noch 'für sich'. Sie sei vielmehr eine an die sozialökonomische Struktur der jeweiligen Gesellschaft gebundene und nur über diese erschließbare Substruktur.

Das Resultat einer solchen Sicht auf die moderne Stadt läßt sich an den schematisierten und einheitlichen Vorgaben verpflichteten illustrierten Geschichten der DDR-Bezirksstädte ablesen. Deren auf das 20. Jahrhundert gerichtete Kapitel nahmen zwar vergleichsweise breiten Raum ein und schienen so dem hochdifferenzierten Organismus der modernen Stadt Rechnung zu tragen. Doch stellten sie das städtische Geschehen im 20. Jahrhundert weitgehend als Abbild allgemeiner Prozesse dar. Ihre eher knapp gehaltenen NS-Kapitel bzw. - hier wichen die einzelnen Bände voneinander ab - die NS-bezogenen Unterabschnitte der Kapitel über den Zeitraum 1917/18 bis 1945 waren ungeachtet der sehr unterschiedlichen Vorgänge und der Individualität des Geschehens nach ähnlichem Muster gestrickt.

Daneben stand eine Fülle oft ungedruckter oder verstreuter Detailstudien und anderer Stadtgeschichten, die meist weit differenzierter verfuhren und stärker die Individualität städtischer Entwicklung betonten. Freilich unterlagen auch sie reglementierenden Vorgaben. Ihre NS-bezogenen Kapitel konnten sich nicht aus deren Bannkreis lösen. Sie gehörten in der Regel zu den schwächsten Partien solcher Publikationen. Doch gab es zwischen ihnen beträchtliche Unterschiede. Das verweist auf den von den jeweiligen Autoren mehr oder weniger genutzen wissenschaftlichen Freiraum."

Die Bilanz des stadtgeschichtlichen Umgangs mit der NS-Zeit in der DDR fällt also überwiegend negativ aus. Der Blick auf die gegenwärtige Publikationslandschaft der "neuen Bundesländer", den der Autor an die Analyse der DDR-Zeit anschließt, zeigt, daß die entstandenen Defizite so schnell nicht aufgearbeitet werden können.

Das neue IMS-Heft enthält weitere Beiträge zum Themenschwerpunkt, ferner Tagungsberichte sowie ständig wiederkehrende Übersichten (u.a. über neue stadtgeschichtliche Literatur).

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