Perspektivenwechsel im Umgang mit Flüchtlingen. Von der Sondersituation zum kommunalen Alltag
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht steigende Flüchtlingszahlen, die Not der Menschen und die Machtlosigkeit der Politik Schlagzeilen in der Tagespresse sind. Flüchtlinge und Asylbewerber im kommunalen Kontext zu thematisieren, ist angesichts des gegenwärtig immensen Zustroms geprägt von Schwierigkeiten und partieller Überforderung. Gerade die Kommunen stehen aufgrund steigender Flüchtlings- und Asylbewerberzahlen unter Druck. Und sie sind direkt damit konfrontiert, während in den allgegenwärtigen Verteilungsdiskussionen auf übergeordneten Ebenen, innerhalb der EU und zwischen den Bundesländern (beispielsweise über den "Königsteiner Schlüssel" s. S. 17 in diesem Heft), Flüchtlinge schnell zu "Objekten der Verwaltung" werden (PRO ASYL 2014, S. 8). Bei der Wahl des Wohnsitzes haben Flüchtlinge ohnehin kein Mitspracherecht.
Dass Flüchtlinge und Asylbewerber nach Deutschland kommen, ist kein neues Phänomen. In Folge von politischen Umbrüchen und Bürgerkriegen gab es immer wieder Zuwanderungswellen. An Erfahrungen im Umgang mit Zuwanderung mangelt es in deutschen Städten und Gemeinden daher nicht. Gleichwohl ist die Debatte um die deutsche Zuwanderungspolitik, deren Bestandteil der Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern ist, lang, kurven- und konfliktreich.
Was sind – mit Blick auf die heutige Situation – die besonderen, vielleicht auch neuen Herausforderungen für Kommunen? Unter extremem Zeitdruck müssen viele Stellschrauben gleichzeitig bewegt werden: Die Aufgaben- und Lastenteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen muss verhandelt werden, Integrationskonzepte sind aufzustellen, Integrationskurse insbesondere zur Sprachförderung auszuweiten, Standorte für Unterkünfte müssen gefunden und zum Teil gebaut werden und nicht zuletzt ist die Bevölkerung zu informieren und einzubinden. Auf der lokalen Ebene entscheidet sich, ob und in welchem Maße die Integration gelingt. Hierfür gibt es allerdings kein Patentrezept. In jedem Fall ist Integration keine Selbstverständlichkeit und auch kein Resultat eines gerechten Verteilungsschlüssels. Sie ist vielmehr das Ergebnis einer kommunalen Haltung und den daraus abgeleiteten Anstrengungen. Viele Städte zeigen deutlich, dass sie Integration wollen.
Die folgenden Gedanken und Anregungen sind als Impuls für eine Diskussion zu verstehen, die den Umgang mit Flüchtlingen nicht auf ein zahlenmäßiges und rechnerisch lösbares Problem reduziert.
Stadtspitzen setzen Zeichen für eine Willkommenskultur
Der Umgang mit Flüchtlingen ist (zuallererst) eine Frage der Einstellung, die die Stadtspitze einer Kommune nach außen vertritt. (Ober-) Bürgermeister und Landräte kommunizieren das Thema in die Gesellschaft und machen es auf die eine oder andere Weise zu einem öffentlichen, gesellschaftlichen und auch politischen Anliegen. Auf diese Weise werden vielerorts bereits erfolgreich Zeichen für eine kommunale Willkommenskultur gesetzt. Diese wirkt vor allem dann nachhaltig, wenn sie die Ängste aller betroffenen Menschen – der Neuzuwanderer wie der Alteingesessenen – ernst nimmt und Konflikte nicht ignoriert.
Flüchtlinge haben einen oft unklaren, temporären Aufenthaltsstatus. Faktisch bleiben viele von ihnen – zumindest über mehrere Jahre – in Deutschland. Deshalb sind Angebote für die Entwicklung einer Lebensperspektive zu eröffnen, sei es mit Blick auf Wohnen, Arbeiten, Teilhabe am sozialen Leben oder Freizeit. Die zyklisch enorm schwankenden Ankunftszahlen (2005 waren 6.852 Asylanträge, 2014 bereits 150.257 zu verzeichnen) erschweren einen vorausschauenden Umgang mit dem Thema. Es ist davon auszugehen, dass der Flüchtlingsstrom in den nächsten Jahren anhalten wird. Damit sollte der Umgang mit Flüchtlingen nicht als Sonderfall, sondern als langfristiges kommunales Thema anerkannt und als solches behandelt werden. Dies erfordert nicht nur einzelne Projekte, sondern darüber hinaus und zuvorderst Strategien, Konzepte und Strukturen. Da die Aufnahme von Flüchtlingen weit mehr als deren Unterbringung betrifft, sollte sie als Teil einer integrierten Stadtentwicklung betrachtet werden. Nur durch Einbettung in umfassende Strategien und Konzepte lassen sich langfristig tragfähige Lösungen finden. So ist auch gewährleistet, dass das Thema nicht in Vergessenheit gerät, falls die Flüchtlingszahlen wieder einmal sinken, zudem könnte ein Handeln "mit dem Rücken zur Wand" in Zukunft vermieden werden. Denn, in der Vergangenheit wurden – in den Jahren zurückgehender und niedriger Zuwanderungszahlen – vielerorts Unterkunftskapazitäten sukzessive abgebaut.
Uns ist durchaus bewusst, dass antizyklisches Agieren bei kaum einem Thema gelingt, doch ist das Anliegen deshalb nicht weniger wichtig.
Die meisten Kommunen, aber auch Bund und Länder wurden von der 2013 plötzlich (wieder) ansteigenden Unterbringungs- und Integrationsaufgabe überrascht. Auch sehen sie sich Verunsicherungen und auch Protestbewegungen von Seiten der Bevölkerung gegenüber, aus denen einige Parteien politischen Profit schlagen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch eine enorme Welle der Hilfsbereitschaft und des Engagements. Dies verdeutlicht den Stellenwert der Kommunikation, und zwar nicht nur innerhalb der Verwaltung, sondern auch in die Stadtgesellschaft hinein. Wie in einer angespannten Situation allerdings die Debatten zum Positiven gewendet werden können, ist nicht einfach zu beantworten. Der Handlungs- und Erfolgsdruck erschwert es, geeignete Kommunikationsstrategien umzusetzen.
Wie groß die aktuelle Herausforderung ist, zeigt sich unter anderem beim Blick auf das derzeit drängendste und sichtbarste Problem: die Unterbringung der Flüchtlinge – und das sowohl in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder als auch in den Einrichtungen der Kommunen. Wenngleich "theoretisch" Einigkeit besteht, dass die dezentrale Unterbringung in Wohnungen langfristig die beste Lösung ist, so entstehen aus diesen Ansprüchen vor allem in wachsenden Regionen auch Konkurrenzsituationen um das begrenzte Angebot von belegungsgebundenen Wohnungen.
Hier greifen rationale Argumente nur bedingt: Regionen, in denen Wohnungen leer stehen, die vom demografischen Wandel besonders stark betroffen sind, könnten Flüchtlingen eine Chance für einen Neuanfang eröffnen (Rosenfeld 2014). Doch in diesen Regionen gibt es auch Ressentiments. Ist es vertretbar, Flüchtlinge aus Bürgerkriegsregionen potenziell konfliktgeladenen Situationen auszusetzen? Muss man anerkennen, dass Großstadtregionen (noch) wesentlich robuster auf Zuwanderungsströme reagieren, breitere Unterstützungsnetzwerke aufweisen und daher dieser Aufgabe eher gewachsen sind? Wie kann es gelingen, Willkommenskultur in unterschiedlichen Räumen und Orten mit Leben zu füllen?
"Cui bono": Eine Willkommenskultur nutzt der Gesellschaft
Voraussetzung einer Willkommenskultur für Flüchtlinge ist – bei aller Sensibilität für die Probleme und Herausforderungen – ein grundsätzlicher gesellschaftlicher Diskurs. Flüchtlinge und das Zusammenleben in kulturell gemischter Gesellschaft sind nicht allein und zuallererst als ein Problem anzusehen, welches nur schwer zu lösen ist. Auch wenn die momentane Situation durchaus eine optimistische Zukunftssicht erschwert. Den Weg für eine Willkommenskultur zu bereiten setzt voraus, Menschen aufeinander neugierig zu machen, gegenseitiges Interesse zu wecken, Begegnungen zu initiieren. Notwendiger Teil einer Willkommenskultur ist es auch, den Menschen in Not, die nach Deutschland kommen, über eine gezielte Sprachförderung hinaus Möglichkeiten zu eröffnen und Anlässe zu bieten, sich zu betätigen und zu engagieren. Die Diskussion darüber, welche Formen von Tätigkeit, von ehrenamtlichem Engagement dies sein könnten, ist zu führen. Leitender Gedanke sollte hierbei sein, die Flüchtlinge aus ihrer räumlichen und gesellschaftlichen Abschottung herauszuholen, einer Abschottung, die vielerorts schon durch die Lage der Unterkünfte und den Umstand, nicht arbeiten zu dürfen, bestimmt ist. Flüchtlinge gehören ins Zentrum der Gesellschaft und nicht an deren Rand (Fetscher 2015).
Menschen, die in Deutschland integriert sind, können auch wirtschaftliche Leistungen erbringen: als dringend benötigte Arbeitnehmer und Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt, in Branchen und Bereichen, die händeringend Personal suchen und nicht zuletzt als Steuerzahler. Nachbarschaften und Stadt(teil)leben werden durch neue Impulse bereichert. Die Integration von Flüchtlingen bietet Chancen, die es aufzugreifen und zu gestalten gilt!
Der notwendige Perspektivenwechsel kann nur gelingen, wenn Kommunen nicht alleingelassen werden. Bund, Länder und Kommunen sind gemeinsam gefordert. Gerade Bund und Länder müssen sich ihrer besonderen Verpflichtungen, nicht nur was die Ressourcen betrifft, bewusst sein. Mag es auch mit Blick auf die Verteilung keine allen Beteiligten gerecht werdende Lösung geben – wenn die unterschiedlichen Zuständigkeits- und Verantwortungsebenen zu mehr Kooperation bereit wären, ließe sich die gegenwärtig konfliktbeladene Situation sicherlich entschärfen und nähme der Druck auf die Kommunen ab.
Weitere Informationen
- Deutscher Städtetag (2015): Positionspapier des Deutschen Städtetages – Aufnahme, Unterbringung und Integration von Asylbewerbern und Flüchtlingen, 7.5.2015.
- Fetscher, Caroline (2015): Schickt die Flüchtlinge nicht in die Dörfer!, in: Der Tagesspiegel, 14.4.2015.
- PRO ASYL e.V. (Hrsg.) (2014): Unterbringung von Flüchtlingen in Deutschland. Regelungen und Praxis der Bundesländer im Vergleich. Autor: Kay Wendel, Frankfurt am Main.
- Rosenfeld, Dagmar (2014): Flüchtlinge: Kommt her zu mir!, in: DIE ZEIT, Nr. 49/2014.