Kiezblocks für Berlin: Mehr als nur Poller!
Ein Beitrag von Uta Bauer und Thomas Stein
Aktuell haben sich allein in Berlin bereits mehr als 50 Kiezblock-Initiativen in verschiedenen Bezirken gebildet. So wird in Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg, Mitte und Pankow an der Umsetzung von Kiezblocks gearbeitet. Laut Berliner Koalitionsvertrag sowie Zählgemeinschaftsvereinbarungen auf Bezirksebene soll diese Zahl in den nächsten Jahren schrittweise gesteigert werden. Mit diesen Aktivitäten ist Berlin übrigens nicht allein, die Hamburger nennen ihre Kiezblocks „Superbüttel“, die Darmstädter „Heinerblocks“ und die Wiener „Supergrätzel“.
Doch was verbirgt sich eigentlich hinter diesem schillernden Begriff? Die Konzepte vieler Kiezblockinitiativen erinnern an die „flächenhafte Verkehrsberuhigung“ der 1980er-Jahre. Hierbei ging es darum, den Durchgangsverkehr aus den Wohnquartieren zu verbannen, die Geschwindigkeit reduzieren und den Straßenraum für mehr Grün und Aufenthalt aufzuwerten. Diese Ziele gehörten damals wie heute zu den Grundelementen der Verkehrsberuhigung. Das, was heute die Gemüter bewegt, wurde bereits 1986 in einer Broschüre des CDU-geführten Bauministeriums „Stadtverkehr im Wandel“ treffend illustriert (t1p.de/nla0y). Ist es also nur alter Wein in neuen Schläuchen?
Tatsächlich fehlt der Diskussion um die Kiezblocks ein klares, gemeinsames Verständnis, was ein Kiezblock sein soll. Sind Kiezblocks allein vom Durchgangsverkehr befreite Wohnquartiere? Gehört eine Umverteilung des Straßenraums für den Aufenthalt, für eine sichere Fortbewegung zu Fuß und mit dem Rad dazu? Müssen dafür parkende Autos weichen und der ruhende Verkehr anders organisiert werden? Sind Entsiegelungsmaßnahmen zur Vermeidung von Hitzestaus Pflicht oder Kür?
Im Gegensatz zu den 1980er-Jahren besteht ein grundsätzlicher Unterschied: Die Handlungsnotwendigkeit ist durch die Flächenkonflikte im Straßenraum enorm gestiegen. Die Dominanz des Pkws hat seitdem zugenommen, der Lieferverkehr ist explodiert und die mittlerweile von allen genutzten Navigationssysteme führen dazu, dass Ausweichverkehr zunehmend auch die Nebenstraßen belastet. Sie werden damit zum Überdruckventil für die Hauptverkehrsstraßen. Zu diesen Herausforderungen kommen Forderungen nach mehr Freiräumen für Menschen in ihrer Nachbarschaft, nach mehr Platz für Fuß- und Radverkehr und nach klimaangepassten öffentlichen Räumen. Das Konzept der Superblocks ist also kein alter Wein in neuen Schläuchen, vielmehr geht es darum, Konzepte dann umzusetzen, wenn die richtige Zeit – und damit auch höhere Akzeptanz – gekommen ist, wie auch viele internationale Vorbilder beweisen.
Internationale Vorbilder für Kiezblocks
Vorbild für die Kiezblock-Initiativen ist das Konzept der „Superblocks“ in Barcelona. Auf dem Schachbrett-Grundriss der katalanischen Hauptstadt werden mehrere Wohnblöcke zu einem „Superblock“ zusammengefasst. Die Straßen innerhalb dieses Gebiets werden zu Gunsten von Fuß- und Radverkehr sowie mehr Aufenthaltsqualität für Jung und Alt umgestaltet. Motorisierte Fahrzeuge können weiter einfahren, liefern und laden, jedoch nur noch sehr eingeschränkt parken und vor allem nicht mehr – und das ist ein wichtiger Unterschied – durch den Superblock durchfahren. Daneben gibt es auch in anderen europäischen Ländern ähnlich ganzheitliche Modelle zur Umgestaltung des öffentlichen Straßenraums. In der Millionen-Metropole London wurden zwischen 2013 und 2019 „Mini-Hollands“ in drei Außenbezirken umgesetzt. Maßnahmen umfassen hier neben Kfz-Durchfahrtssperren auch die Verbesserung von Rad- und Fußwegen sowie attraktivere Straßen und Plätze unter anderem in Form sogenannter „Pocket Parks“. Aktuell sucht das britische Verkehrsministerium zwölf Kommunen außerhalb Londons, die dieses Erfolgsmodell vor Ort umsetzen möchten (t1p.de/xnx90). Auch der Traffic Circulation Plan der belgischen Stadt Gent bedient sich der grundlegenden verkehrssteuernden Idee von Superblocks und Mini-Hollands. Autos können in ein Gebiet einfahren, es jedoch nicht als „Schleichweg“ nutzen.
Kiezblocks als Blaupause für die urbane Verkehrswende
Der besondere Vorteil von „Super- oder Kiezblocks“ zeigt sich vor allem mit Blick auf die Herausforderungen des Stadtverkehrs: Es gilt, trotz geringerem Autoverkehr mehr Mobilität zu gewinnen. Kiezblocks vereinen im Alltagsleben im Wohnquartier Maßnahmen, die dem Auto zwar Platz wegnehmen, den Anwohnenden jedoch mehr Lebensqualität geben und Mobilität erhalten.
Sie stellen den Menschen und nicht das Auto in den Mittelpunkt des Wohnquartiers. Und Kiezblocks sind mit ihrem gebietsbezogenen Blick eine Blaupause für die Verkehrswende in den Städten, die verdeutlicht, dass städtebauliche Aufgaben mit den verkehrlichen zusammengedacht werden müssen. Denn eine umgestaltete Straße macht noch längst keinen Kiezblock und erst recht keine Verkehrswende. Im Idealfall ist ein Kiezblock so groß, dass wichtige Alltagswege (z.B. Lebensmitteleinkauf, Kita, Schule) zu Fuß erreichbar sind. Städtebauliche Leitbilder wie die der „15-Minuten Stadt“ bieten hier eine hilfreiche Orientierung.
Folgende Ziele sollen mit Kiezblocks verfolgt werden:
- Die Pkw-Dichte deutlich reduzieren,
- Lebens- und Aufenthaltsqualität verbessern,
- lokalen Einzelhandel, Gewerbe und Gastronomie stärken,
- nachbarschaftliche Strukturen und sozialen Zusammenhalt stärken,
- für mehr Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer*innen sorgen,
- verkehrsberuhigte öffentliche Räume schaffen,
- die Bedingungen für das Gehen und Radfahren verbessern und
- urbane Hitzeinseln vermeiden.
Umsetzung von Kiezblocks – mehr Mut zu unbequemen Maßnahmen
Bei der Umsetzung der Kiezblocks in Berlin zeigt sich bisher ein uneinheitliches Bild. In Ermangelung einer berlinweiten Definition werden hier meist Maßnahmen zur Unterbindung des Kfz-Durchgangsverkehrs mit dem Begriff Kiezblocks assoziiert, wie im Samariterkiez, dem Bellermannkiez oder bei straßenbezogenen Umgestaltungen wie in der Bergmannstraße. Maßnahmen wie die der Parkraumbewirtschaftung und des Parkraummanagements werden nicht von allen Kiezblock-Initiativen eingefordert und bislang in keinem der geplanten Kiezblöcke in Angriff genommen. Dies muss jedoch nicht gegen die Kiezblock-Dynamik in den Berliner Bezirken sprechen, denn diese können auch schrittweise umgesetzt werden. Auch Stufenmodelle sind denkbar:
- In einem ersten Schritt werden mit Hilfe baulicher und verkehrstechnischer Maßnahmen (Diagonalsperren, gegenläufige Einbahnstraßen) die Wohnquartiere vom Durchgangsverkehr entlastet, die Geschwindigkeit reduziert und punktuell/temporär der Straßenraum umgestaltet (Blumenkübel, Parklets, Spielstraßen).
- Der zweite Schritt geht die Umgestaltung des Straßenraumes konsequenter und flächendeckender an: Maßnahmen wie eine systematische Parkraumbewirtschaftung und eine schrittweise Umorganisation der Stellplätze vom öffentlichen Raum in private und öffentliche Sammel-/Quartiersgaragengaragen schaffen Raum für eine verbesserte Radverkehrsinfrastruktur, für Lieferzonen, attraktive grüne Plätze mit Spiel und Sitzmöglichkeiten und Gehwege.
- Der dritte Schritt integriert zusätzlich Mobilitätsstationen mit einem Angebot an multimodalen Sharingfahrzeugen (www.difu.de/11815) im Wohnquartier. Der private Pkw wird zunehmend überflüssig, für diejenigen, die auf einen Pkw angewiesen sind, bleibt jedoch jedes Haus erreichbar. Entsiegelungsmaßnahmen und eine spürbare Steigerung der Grünflächen tragen zur Verbesserung der Luft bei und vermeiden Hitzeinseln.
Diese Vorgehensweise kann als ein aufeinander aufbauendes Verfahrensmodell für die Implementierung von Kiezblocks verstanden werden, sollte aber deutlich machen, dass ein vom Durchgangsverkehr befreiter Kiez nur ein Auftakt ist. Der erste Schritt ist für die Akzeptanz vor Ort wichtig, besonders dann, wenn unter den Anwohnenden noch kein breiter Konsens über die flächendeckende Verkehrsraumumnutzung besteht.
Beim Poller fängt die Verkehrswende erst an
Kiezblocks sind also mehr als ein paar Poller, sie wären ein Gewinn für nachhaltige, lebensfreundliche Stadträume. Damit wird aber auch deutlich, dass allein verkehrstechnische Konzepte zu kurz greifen. Die Umnutzung und Umgestaltung öffentlicher Räume braucht (grün)gestalterische, stadtplanerische und nicht zuletzt wohnungspolitische Expertise. Derartige Transformationsprozesse verlaufen nicht ohne Protest und Konflikte. Neben der Befürchtung, kein eigenes Auto parken zu können, zählen die Verlagerung des Verkehrs auf das Hauptstraßennetz sowie eine Gentrifizierung der Kieze durch Aufwertung des Wohnumfeldes zu den häufigen Gegenargumenten. Kiezblockkonzepte müssen diese Aspekte berücksichtigen und ressortübergreifend lösen, beispielsweise mit wohnpolitischen Maßnahmen. Kommunikation ist also unersetzlich, heißt jedoch auch, die demokratisch beschlossenen Ziele und Maßnahmen konsequent zu verfolgen. Die internationalen Beispiele aus London und Gent beweisen, dass politischer Mut und konsequente Umsetzung belohnt werden und die Verantwortlichen trotz erheblicher Proteste wiedergewählt wurden. Die Erfahrungen zeigen, dass Anwohnende solchen innovativen Konzepten oft positiver gegenüberstehen, als Verwaltung und Politik es vermuten. Diesen Rückenwind gilt es, zu nutzen.
Damit Kommunen in Deutschland erfolgreich Kiezblocks und ähnliche Konzepte umsetzen können, bündelt das Difu Erfahrungen und Umsetzungswissen aus den Berliner Bezirken und anderen europäischen Städten. Im Fachforum „Berliner Kiezblocks“ steht der Austausch zum Thema Neuverteilung des öffentlichen Raums und im speziellen zur Umsetzung von „Kiezblocks“ im Mittelpunkt. Hierzu werden aktive und interessierte Bezirke untereinander sowie mit den verantwortlichen Berliner Senatsstellen vernetzt.
Vorabveröffentlichung des im Difu-Magazin Berichte 1/2022 erscheinenden Textes.