Berliner Stadtautobahn mit Fahrradfahrern anlässlich einer Sternfahrt
Medienbeitrag

Innerstädtische Autobahnen: Aus klimapolitischer Sicht fatales Signal

Difu-Mobilitätsforscherin Anne Klein-Hitpaß bewertet im Interview mit Redakteurin Jessica Hanack von der Berliner Morgenpost die A100-Verlängerung und erläutert, warum der Bau einer Autobahn in der Stadt nicht mehr zeitgemäß ist.
„Aus klimapolitischer Sicht wäre ein Weiterbau ein fatales Signal“

Mobilitätsforscherin Anne Klein-Hitpaß bewertet im Interview die A100-Verlängerung

Berlin. Der Weiterbau der Stadtautobahn A100 von Treptow bis zur Storkower Straße spaltet Berlin. Befürworter wie Kritiker, beide sehen die Argumente auf ihrer Seite. Welche Effekte die A100-Verlängerung auf den Verkehr in der Stadt hätte und wie es gelingen kann, die Innenstadt von Autos zu entlasten, darüber hat die Berliner Morgenpost mit Anne Klein-Hitpaß, Forschungsbereichsleiterin Mobilität am Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin, gesprochen.

Berliner Morgenpost: Frau Klein-Hitpaß, ist der Bau einer Autobahn in der Stadt heute noch zeitgemäß?

Anne Klein-Hitpaß: Der Bau von Autobahnen in Innenstädten ist nicht mehr zeitgemäß. Wenn wir das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung ernst nehmen und die Klimaziele erreichen wollen, müssen wir unsere Verkehrssysteme so modernisieren, dass die Menschen nachhaltig mobil sein können. Schauen wir beispielsweise auf andere Metropolen dieser Welt, wie Paris, Amsterdam oder Seoul, so können wir sehen, wie eine moderne Verkehrspolitik aussieht: Dort werden Straßen zurückgebaut. Einwohner und Wirtschaft profitieren. So werden Städte wieder zu attraktiven Arbeits- und Wohnstandorten. Mit einem klugen Rückbau von Straßen tragen diese Städte vielmehr zur Verkehrsentlastung bei – ohne die Mobilität der Menschen einzuschränken.

Befürworter argumentieren, es braucht den Weiterbau der A100, um die Berliner Innenstadt vom Autoverkehr zu entlasten. Kann die Verlängerung dabei tatsächlich helfen?

Empirische Studien zeigen eindeutig, dass eine Entlastung nur kurz wirkt und neue Straßen zu mehr Verkehr führen. Darüber hinaus verschlingt der Bau einer Autobahn sehr viel Geld. Dieses Geld würde also in ein Verkehrssystem investiert, das im Widerspruch zu moderner Stadt- und Verkehrspolitik – und zu den Klimazielen der Bundesregierung – steht. Es wird quasi in Beton gegossen und damit für viele weitere Jahrzehnte zementiert. Das Geld wäre deutlich besser in den Ausbau des Umweltverbunds, also ÖPNV, ins Radwegenetz und Fußwege investiert.

Welche Alternativen zum Bau einer Autobahn gibt es, um diese Verkehrsentlastung zu erreichen?

Eine wirkliche Verkehrsentlastung wäre es, wenn kurze Wege bis fünf Kilometer – in Städten also etwa die Hälfte aller zurückgelegten Wege – mit dem Umweltverbund, insbesondere mit dem Fahrrad zurückgelegt würden. Für längere Strecken haben wir in Berlin ein leistungsstarkes öffentliches Verkehrssystem, ergänzt um Möglichkeiten geteilter Mobilität. Wir haben also viele Alternativen. Diese zu nutzen, würde Straßen merklich entlasten. Und weniger Verkehr bedeutet auch weniger Lärm, weniger Feinstaub, weniger Emissionen. Wenn es sichere Radwege, verlässlichen kostengünstigen ÖPNV und attraktive Fußwege gibt, dann nutzen die Menschen dies auch. Wir müssen also dafür sorgen, dass die umwelt- und damit zukunftsfreundliche Mobilität für die Menschen auch attraktiv ist.

Anne Klein-Hitpaß steht lächelnd vor einer roten Holzwand

Trotz der Diskussionen um eine Mobilitätswende wurde in Berlin 2022 ein Rekordwert an zugelassenen Pkw erreicht. Signalisiert das einen steigenden Wunsch nach individueller Mobilität?

Das ist ein seit Jahrzehnten anhaltender Trend: Jedes Jahr werden mehr Autos zugelassen – deutschlandweit, und nicht nur in der wachsenden Stadt Berlin. Die Anzahl der Menschen und Autos mag steigen, der Platz in unseren Städten jedoch nicht. Das führt zwangsläufig zu Nutzungskonkurrenzen. Der Bau der Autobahn würde diese verschärfen und Stadtquartiere zerstören. Kostbare innerstädtische Flächen stünden dann nicht mehr für andere wichtige Nutzungen zur Verfügung – beispielsweise für die Schaffung bezahlbaren Wohnraums. Gerade mit Blick auf die aktuellen Herausforderungen sollte sorgfältig abgewogen werden, wie der öffentliche Raum genutzt wird, denn: Die Hälfte der Berliner Haushalte besitzt gar kein Auto.

Braucht es bei mehr Autos dann nicht auch neue Straßen, um den Verkehr zu händeln? Oder führt ein Straßenausbau, wie es Kritiker sagen, wirklich zu immer weiter steigendem Pkw-Verkehr?

Ja, so ist es: Mehr Straßen führen zu mehr Verkehr. Mehr Verkehr führt zu mehr Lärm, Stress und Luftschadstoffen. Darunter leiden die Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner. Anstatt neue Autobahnen zu bauen, sollten wir daher überlegen, wie wir die Mobilität der Menschen aufrechthalten oder verbessern. Es geht nicht darum, das Auto zu verbieten. Es geht darum, Mobilität nachhaltig und stadtverträglich zu gestalten. Auch die jüngsten weltpolitischen Entwicklungen zeigen, wie wichtig es ist, dass wir uns unabhängiger von fossiler Energie machen. Neben der Elektrifizierung von Fahrzeugen gehört die Verlagerung der Mobilität auf den Umweltverbund unweigerlich dazu.

Der 17. Bauabschnitt der A100 soll auf etwa 4,1 Kilometern Länge durch die Stadt führen. Wie fällt die Bilanz eines solchen Baus mit Blick auf den Klimaschutz aus?

Zahlen der Bundesregierung haben erst kürzlich wieder belegt, dass der Verkehrssektor seine Klimaschutzziele deutlich verfehlt. Aus klimapolitischer Sicht wäre ein Weiterbau der A100 ein fatales Signal. Es würden alte Fehler wiederholt – und zwar wider besseres Wissen und empirischer Evidenz. Für ein klimafreundliches Verkehrssystem brauchen wir mehr Platz für umweltfreundliche Alternativen. Die Förderung des motorisierten Individualverkehrs in Innenstädten wäre also genau das Gegenteil von Klimaschutz.

Das Interview führte Redakteurin Jessica Hanack von der Berliner Morgenpost (veröffentlicht am 3.4.2022 auf Seite 19). Wir bedanken uns herzlich für die freundliche Veröffentlichungserlaubnis durch die Berliner Morgenpost!