Difu-Umfrage: Stadtspitzen setzen Priorität auf bezahlbaren Wohnraum
Die Schaffung bezahlbaren Wohnraums steht derzeit ganz oben auf der Agenda deutscher Städte. Mit deutlichem Abstand belegen die Handlungsfelder Mobilität und Digitalisierung Platz 2 und 3 der im Januar/Februar 2019 durchgeführten Difu-Städteumfrage. Das in der Vorgängerbefragung noch auf Platz 1 gelistete Thema Integration belegt aktuell nur noch Platz 6. Wichtigstes Zukunftsthema ist für die Stadtspitzen das gesamte Spektrum der Digitalisierung. In diesen drei Handlungsfeldern – ebenso wie zur Finanzsituation – erwarten die Städte eine bessere Unterstützung durch Bund, Länder und die EU. Regional unterscheiden sich die Einschätzungen der Stadtspitzen hinsichtlich der jeweiligen Dringlichkeit von Handlungsfeldern: Süddeutsche Städte messen den Themen Wohnen und Mobilität die höchste Brisanz zu. Städte im Westen leiden vielfach unverändert unter ihrer schwierigen Finanzsituation. Ostdeutsche Städte sehen vor allem bei Arbeitsplätzen und Infrastruktur große Handlungsnotwendigkeiten.
Dies sind einige der Ergebnisse des aktuellen „OB-Barometer 2019“ des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu), einer seit 2015 durchgeführten Befragung der (Ober)Bürgermeisterinnen und (Ober)Bürgermeister großer deutscher Städte. Gefragt wird nach aktuellen und künftigen Aufgabenschwerpunkten, um Veränderungen frühzeitig zu erkennen und darauf reagieren zu können. Die befragten Stadtspitzen benennen dabei u.a. die aktuell wichtigsten Aufgabenfelder der eigenen Stadt, sie prognostizieren künftige Prioritätensetzungen und bewerten, inwiefern sich kommunale Rahmenbedingungen in verschiedenen Bereichen ändern müssen.
Die Stadtspitzen sind sich bei der Frage „Was sind derzeit die wichtigsten Aufgaben in Ihrer eigenen Stadt?“ einig: Wohnungsbau und die Schaffung (bezahlbaren) Wohnraums haben aktuell die höchste Priorität in der jeweils eigenen Stadt. Das Thema hat in den vergangenen vier Jahren für die Befragten stetig an Dringlichkeit gewonnen und wird nun von 66 Prozent als eine der wichtigsten Aufgaben benannt. Darüber hinaus beschäftigen Fragen der Mobilität und Digitalisierung die Stadtspitzen am meisten – ein Trend, der sich in den vergangenen Jahren bereits ankündigte. Die Topthemen der Städte spiegeln sich in den politischen Diskussionen der letzten Monate zwischen Kommunen, Ländern und Bund: Soziale Wohnraumförderung, Feinstaubbelastung und mögliche Fahrverbote sowie Breitbandausbau und „Smart City“. Bemerkenswert ist, dass die TOP 3 – Wohnen, Mobilität und Digitalisierung – in genau dieser Reihenfolge von den Stadtspitzen aller Städte genannt wurden, unabhängig von ihrer Größe, mit besonders hoher Brisanz in den großen Ballungskernen.
Bei fiskalischen Fragen zeigt sich im Vergleich zu den Vorjahren insgesamt eine Entspannung. Das Thema verliert etwas an Bedeutung. Nur ein Viertel der Stadtspitzen benennt in der aktuellen Umfrage fiskalische Fragen als eines der wichtigsten Handlungsfelder. Dabei gibt es allerdings deutliche Unterschiede: In den Ländern mit den höchsten kommunalen Altschulden und Kassenkrediten, in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland sind für 35 Prozent der Stadtspitzen Fragen zu Haushaltskonsolidierung und Finanzlage besonders bedeutend. In den Städten der finanzstarken Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen sind Finanzfragen derzeit nur für elf Prozent der Befragten wichtig. Für die Stadtspitzen in diesen Städten ist jedoch das Thema Mobilität mit 66 Prozent sehr viel wichtiger (bundesweit 44 Prozent), sicher auch eine Folge der wahrgenommenen „Wachstumsschmerzen“ vieler Ballungsräume im Süden der Republik.
Die größte Veränderung in der Einschätzung der befragten Stadtspitzen lässt sich bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern beobachten – und sie betrifft alle Städte: War das Thema in den OB-Barometern von 2015 bis 2018 noch absolutes Topthema – 2016 gab es mit 77 Prozent einen absoluten Spitzenwert –, so benennen es in der diesjährigen Befragung nur noch 22 Prozent als eines der wichtigsten Handlungsfelder. Dies ist sicher auch eine Folge der deutlich zurückgegangenen Flüchtlingszahlen.
Bei der Einschätzung der Zukunftsthemen waren sich die Stadtspitzen einig. Auf die Frage „Welche Themen werden künftig für die Städte an Bedeutung gewinnen?“ war „Digitalisierung“ ganz klar das Aufgabenfeld, das in naher Zukunft den größten Bedeutungszuwachs im kommunalen Handeln haben wird. 55 Prozent der Befragten nannten es als das kommunalpolitische Thema, das in den kommenden fünf Jahren an Bedeutung gewinnen wird. Damit wird Digitalisierung zum zweiten Mal in Folge zum wichtigsten Zukunftsthema für die deutschen Städte – und diesmal mit noch höherem Ergebnis. Das Thema Mobilität nimmt wie im Vorjahr bei relativ unveränderter Nennung (44 Prozent) den zweiten Platz ein. Auch Wohnen wird weiterhin eine hohe Bedeutung behalten – davon gehen 39 Prozent der Befragten aus. Das Thema des gesellschaftlichen Zusammenhalts wird gegenüber allen Befragten der Vorjahre deutlich öfter als Zukunftsthema genannt, während es in der Umfrage nach den aktuellen Aufgaben in der eigenen Stadt (noch) nicht unter den wichtigsten Themen rangiert.
Weiterhin unzufrieden sind die Stadtspitzen mit den Rahmenbedingungen für die Kommunen, was die Verkehrspolitik und den Infrastrukturausbau betrifft. Auf die Frage „In welchen Bereichen müssen die Rahmenbedingungen für Kommunen verbessert werden“ wünschen sich 70 Prozent von Ländern, Bund oder EU einen besseren Handlungsrahmen – hinsichtlich der Gesetzgebung, der Fördermittel oder der finanziellen Möglichkeiten. Wenngleich die fiskalischen Fragen aktuell nicht mehr in allen Städten die herausgehobene Bedeutung haben wie in Vorjahren, so sehen nach wie vor 65 Prozent der Befragten eine bessere Unterstützung der Finanzpolitik als „sehr wichtig“ an. Vor allem die Kommunen in den Bundesländern mit sehr hohen Altschulden (NRW, Rheinland-Pfalz, Saarland) und die ostdeutschen Städte, die Finanzfragen auch als drängendste Herausforderungen in ihrer eigenen Stadt genannt haben, wünschen sich hier eine bessere Unterstützung durch Länder, Bund und EU. Mit ähnlichem Nachdruck wird mehr Unterstützung in den Bereichen Städtebau/Wohnen sowie Digitalisierung gefordert. Das Thema Flüchtlinge/ Integration tritt auch hier inzwischen erkennbar wieder in den Hintergrund. Es rangiert nur noch an achter Stelle. Noch 2015 war es für 80 Prozent der Stadtspitzen sehr wichtig, dass sich hier die Rahmenbedingungen verbessern. Gemeinsam mit der Finanzpolitik, die 77 Prozent der Befragten nannten, rangierte der Wunsch nach besseren Rahmenbedingungen zur Bewältigung der Flüchtlingspolitik mit einem Rekordwert damals an erster Stelle. Vermutlich trägt die abnehmende Zahl Geflüchteter ebenso wie die inzwischen vereinbarten Zahlungen des Bundes an Kommunen dazu bei, dass die Forderungen der Kommunen nach besseren Rahmenbedingungen hier zurückgegangen sind.
Trotz vieler Gemeinsamkeiten zeigt das OB-Barometer 2019 unterschiedliche Blickpunkte in Abhängigkeit von der regionalen Lage der Städte. Die Rangfolge der wichtigen Themen ist zwar häufig ähnlich, in der Dringlichkeit gibt es aber deutliche Abweichungen. Beispielsweise sehen die Städte im Süden bei den Themen Wohnen (79 Prozent) und Mobilität (66 Prozent) am häufigsten hohen Handlungsbedarf, weitaus öfter als bei den Städten im Westen (Wohnen 57 Prozent, Mobilität 32 Prozent). So wird auch im Süden die stärkste Forderung nach verbesserten kommunalen Rahmenbedingungen für die Verkehrspolitik laut. Umgekehrt ist die Finanzsituation für viele Städte im Westen (35 Prozent) ein zentrales Thema – und sie fordern auch nachdrücklich bessere Unterstützung durch Bund, Länder und EU ein –, während nur 15 Prozent der Städte im Norden und elf Prozent der Städte im Süden diesem Thema herausgehobene Bedeutung zumessen. Dass Digitalisierung, zu der auch Breitbandausbau, E-Government und „Smart City“ gehören, ein Zukunftsthema ist, das Städte unabhängig von regional und strukturell unterschiedlichen Voraussetzungen betrifft, ist nicht erstaunlich. Egal ob nord, süd, ost oder west: Jede/jeder Dritte der befragten Stadtspitzen zählt das Thema zu den derzeit wichtigsten Aufgaben und Herausforderungen in der eigenen Stadt.
Hintergrund
Das OB-Barometer des Difu ist eine jährlich durchgeführte Befragung der (Ober)Bürgermeisterinnen und -Bürgermeister deutscher Städte ab 50.000 EW – unterstützt vom Deutschen Städtetag und dem Deutschen Städte- und Gemeindebund. Die Ergebnisse basieren auf einer repräsentativen Telefonbefragung, die in diesem Jahr im Januar/Februar vom Meinungsforschungsinstitut infratest dimap durchgeführt wurde. Die Umfrage wurde statt zum Jahresende 2018 im Januar/Februar 2019 durchgeführt, weshalb es in den Zeitreihen keine Daten für das Jahr 2018 gibt. 134 der 190 eingeladenen Stadtspitzen beteiligten sich. Dies entspricht der guten Teilnahmequote von 71 Prozent.
aus: Difu-Magazin Berichte 2/2019