
Die Stadt als Rohstofflager – Warum Städte zirkulär handeln sollten
Was wäre, wenn in einer Stadt Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft zirkulär miteinander vernetzt wären? Produkte werden repariert, recycelt oder als Dienstleistung angeboten. Lokale Fertigung stellt Ersatzteile und Produkte genau dann her, wenn sie benötigt werden, während urbane Landwirtschaft und erneuerbare Energien die Stadt und Region zu großen Teilen versorgen. Gebäude sind modular, nachhaltig und rückbaufähig. Die Stadt gilt als Rohstofflager der Region, Materialien werden zurückgewonnen und in neuen Produkten verarbeitet. Wasser- und Abfallwirtschaft folgen regenerativen Prinzipien. Smarte Plattformen ermöglichen das Teilen von Gütern. Gemeinschaft, Ressourcenteilung und soziale Interaktion entstehen, indem Menschen in begrünten Stadtvierteln mit lokalen Reparatur-, Secondhand- und Sharing-Angeboten sowie flexiblen Wohn- und Arbeitsräumen leben. Diverse Bildungsmöglichkeiten, soziale und technologische Innovation treiben diesen Wandel voran.
Zahlreiche Studien – u.a. des WWF Deutschland, der Bertelsmann Stiftung und des Wuppertal Instituts sowie Initiativen aus Städten und Regionen in Europa (CCD, CCRI) – zeigen, dass eine solche Kreislaufwirtschaft, international Circular Economy, ein Schlüssel für unterschiedliche aktuelle Herausforderungen sein kann. Dem ganzheitlichen ökonomischen Modell wird zugeschrieben, die Ressourcensicherheit zu erhöhen, neue lokale und regionale Wertschöpfungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, Treibhausgasemissionen und Ressourcenverbrauch zu reduzieren und so zum Klima- und Biodiversitätsschutz sowie zur Wirtschafts- und Wohlstandssicherung beizutragen.
Der europäische Green Deal und der Circlar-Economy-Action-Plan bilden den Rahmen für kommunale und regionale Kreislaufwirtschaftsaktivitäten. Eine wichtige Rolle spielen auch die Vorgaben der EU-Taxonomie und Pflichten für Unternehmen aufgrund der Corporate Sustainability Reporting Derective (CSRD), die einen Übergang zur Kreislaufwirtschaft vorgeben. Auch wenn die CSRD abgeschwächt werden sollte, zielt der neue Clean Industrial Deal auf eine Transformation in Richtung Kreislaufwirtschaft: 24 Prozent der EU-Rohstoffe sollen bis 2030 in Kreisläufen genutzt werden. Das wären mehr als doppelt so viele (11,7 Prozent) wie 2023 (Eurostat). Bedeutsam bleibt das Klimaneutralitätsziel bis 2050 mit neuem Etappenziel zur Dekarbonisierung bis 2040 von 90 Prozent.
Fast alle EU-Mitgliedsstaaten haben Kreislaufwirtschaftsstrategien verabschiedet. Deutschland beschloss am 4. Dezember 2024 die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS), die Bundesländern, Kommunen und Regionen in Deutschland eine Orientierung bietet, mit welchen Maßnahmen der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft vorangebracht werden soll. Schwerpunkte sind u.a. die zirkuläre Produktgestaltung im Rahmen der europäischen Ökodesign-Verordnung, die Umsetzung des Rechts auf Reparatur und die Förderung von Reparaturinitiativen, der digitale Produktpass sowie Beschaffungsleitlinien nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft für die öffentliche Hand. Europäische Städte setzen auch unter dem Einfluss der diversen Krisen auf zirkuläre Strategien. So hat Amsterdam während der Covid-19-Pandemie beschlossen, seine Kreislaufwirtschaftsstrategie auf Basis des Donut-Ökonomie-Modells zu entwickeln. Strategisch geht es Amsterdam darum, technologische Lösungen im Sinne des Klimaschutzes zu entwickeln und langfristig die eigene sozio-ökonomische Basis zu sichern. Letzteres zeigt sich in Kreislaufwirtschaftsstrategien zahlreicher europäischer Städte als Schlüsselfaktor. Denn der Wandel vom linearen zum zirkulären Wirtschaften muss ganzheitlich sein: Benötigt werden technologische Innovationen sowie neue kulturelle und soziale Praktiken. Die Frage, wie wir mit der gebauten Umwelt – unseren Ressourcen – umgehen, erfordert Offenheit gegenüber neuen Raumkonfigurationen, baulicher Ästhetik, Nutzungsmöglichkeiten und damit neue Wege in der Stadtgestaltung. Gleichzeitig besteht die Chance, damit einen starken Innovationsimpuls für die sozial-ökologische Transformation zu setzen, etwa durch neue zirkuläre und nachhaltige Geschäftsmodelle und Beschäftigungsmöglichkeiten. Nicht zuletzt kann – angesichts der zunehmenden Unabwägbarkeiten im globalen Handel – die Versorgungssicherheit durch geschlossene lokal-regionale Material- und Produktkreisläufe erhöht und regionale Wertschöpfung auch im Stadt-Land-Kontext nachhaltig gestaltet werden.
Kommunen haben Handlungsspielräume, um den Übergang zum zirkulären Denken und Handeln zu unterstützen und resiliente Strukturen aufzubauen:
- Ein zentraler Baustein ist Infrastrukturplanung, die es u.a. ermöglicht, urbane Recycling-Hubs zu etablieren, Reparaturzentren zu fördern und nachhaltige Logistiksysteme für die Rückführung und Weiterverarbeitung von Materialien zu entwickeln. Kommunen können Rahmenbedingungen schaffen, die Sharing-Modelle stärken und eine ressourcenschonende Mobilität unterstützen. Durch die Planung von „Kreislaufwirtschaftsquartieren“ lassen sich nachhaltige Versorgungs- und Verwertungsstrukturen (u.a. durch urbane Produktion und Landwirtschaft) direkt in die Stadtentwicklung integrieren.
- Durch rechtliche Vorgaben und Steuern können Kommunen regulierend wirken. In der Bauleitplanung können Prinzipien der Kreislaufwirtschaft verankert und durch Vorgaben in Bebauungsplänen die Nutzung von Sekundärbaustoffen und eine flexible, modulare Bauweise gefördert werden. Eine kommunale Verpackungssteuer kann den Anreiz für die Verwendung von Mehrweggeschirr erhöhen.
- Ein zentraler Hebel ist die konsequent nachhaltige kommunale Beschaffungspolitik. Zirkuläre Kriterien für die öffentliche Vergabe und Empfehlungen für (kommunale) Unternehmen können den Markt für kreislauffähige Produkte und Dienstleistungen aktiv stärken.
- Durch kommunale Wirtschaftsförderung können Kommunen dazu beitragen, zirkuläre Geschäftsmodelle zu fördern: Über Beratung, Flächenvergabe oder Netzwerke werden Impulse gesetzt, Anreize geschaffen oder Kooperationen initiiert, um ressourcenschonende Produktionsprozesse zu entwickeln, Reparatur- und Recyclinglösungen auszubauen und Innovationen im Bereich der Industriesymbiose voranzutreiben.
- Zirkulärer Wandel beginnt in den Köpfen und bedeutet Handeln und Konsumieren zu verändern. Deshalb sind Sensibilisierungs- und Bildungsmaßnahmen in allen kommunalen Handlungsbereichen wichtige Leitplanken beim Übergang zur Kreislaufstadt.
Initiativen und Akteure in Deutschland, u.a. aus den Bereichen der Abfall-, Bau-, Lebensmittelwirtschaft, der Mobilität und der Wissenschaft treiben die Kreislaufwirtschaft voran. Die Praxis europäischer Städte zeigt, dass Kreislaufstädte nicht zufällig entstehen. Vielmehr lassen sich durch gutes Governance-Design die zirkulären Akteure aus Politik & Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft bis zur Zivilgesellschaft identifizieren und zielgerichtet vernetzen, um erfolgreich Projekte zu realisieren.
Der Weg zur Kreislaufstadt ist ein Marathon, der strategische Planung erfordert und bei dem alle Teilnehmenden gemeinsame Leitziele verfolgen sollten. Eine kommunale oder regionale Kreislaufwirtschaftsstrategie kann als Kompass dienen, Wege abstecken, Rahmenbedingungen setzen und Konsistenz zwischen den Maßnahmen der Handlungsfelder gewährleisten. Die Vision der Kreislaufstadt entsteht nicht im kommunalen Vakuum, sie leistet einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung. Wichtig ist die Anbindung an kommunale Nachhaltigkeitsstrategien und die Verknüpfung mit bestehenden Konzepten (z.B. Klimaschutz, Zero-Waste). Kreislaufwirtschaft kann so zu einem Standortvorteil werden, der nachhaltige Unternehmen anzieht und langfristig wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Mehrwert schafft.
Vorabveröffentlichung aus dem Difu-Magazin Berichte 1/2025