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Standpunkt

Transformiert euch – und gestaltet den Wandel!

Die Neuausrichtung der Städtebauförderung ab 2020 eröffnet den Kommunen ganz neue Gestaltungsspielräume zur Initiierung urbaner Transformationsprozesse und einer nachhaltigen Stadtentwicklung.

Manchmal sind es ganz unscheinbare und vermeintlich technisch daherkommende Vereinbarungen, mit denen in der Politik neue Tore aufgestoßen werden. Monatelang wurde zwischen Bund und Ländern die „Verwaltungsvereinbarung Städtebauförderung 2020“ verhandelt. Nur wenige Informationen davon drangen an die Öffentlichkeit. Selbst die Fachcommunity war über lange Phasen hinweg nicht wirklich involviert. Das Dokument, das jetzt noch von den Ministerinnen und Ministern für Stadt- und Infrastrukturentwicklung der Länder unterschrieben werden muss, ist beachtlich. Denn die Vereinbarung enthält nicht mehr und nicht weniger als eine Aufforderung an die Kommunen: „Transformiert Euch!“ Diese Aufforderung ist zugleich ein Angebot, das sich nicht nur auf die physische Struktur städtischer „Problemquartiere“ einschließlich entsprechender Infrastrukturen bezieht, sondern auch auf Planungs- und Governance-Prozesse und damit die soziale Interaktion zwischen Stadt und Mensch. Denn die jetzt vorliegende Vereinbarung öffnet einen weiten Möglichkeitsraum, der explizit zur Initiierung und Umsetzung urbaner Transformationsprozesse einlädt. Die Kommunen – und die mittelzuweisenden Länder – müssen die neuen Gestaltungsspielräume nun aktiv nutzen.

Diese inhaltliche Neuausrichtung der Städtebauförderung, die durch eine Überführung von vormals sechs in drei Teilprogramme sowie eine textliche Verdichtung der entsprechenden Vereinbarung erreicht wurde, stellt den eigentlichen Gewinn für die Kommunen dar – selbst wenn mit Blick auf die finanzielle Gesamtausstattung und die administrative Abwicklung des Programms rasch wieder Kritik laut werden dürft e. Bereits in der Präambel der neuen Vereinbarung werden aber unmissverständlich die Herausforderungen umrissen: „Die Kommunen stehen aufgrund des demographischen Wandels und veränderter Nutzungsbedingungen und -interessen vor großen Anpassungsbedarfen und städtebaulichen Transformationsprozessen. Dies gilt insbesondere für den Erhalt von lebendigen und identitätsstiftenden Stadt- und Ortskernen, Maßnahmen für den Klimaschutz oder zur Anpassung an den Klimawandel sowie das Schaff en von Wohnraum sowie bedarfsgerechten und zukunftsorientierten Infrastrukturen“.

Neu in der Verwaltungsvereinbarung 2020 ist ein umfassender Katalog an Fördertatbeständen. Dazu zählt erstmalig eine detaillierte Aufzählung möglicher Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung, die von der energetischen Gebäudesanierung, der Bodenentsiegelung über klimafreundliche Mobilität und Baustoff e bis hin zur Erhöhung der Biodiversität reichen. In der Zukunft muss sogar im Rahmen von städtischen Gesamtmaßnahmen mindestens eine Maßnahme im Zuwendungszeitraum der Umsetzung eines solchen Fördertatbestandes dienen. Auch „Maßnahmen zum Einsatz digitaler Technologien (städtebauliche Vernetzung von Infrastrukturen, Daten, Netzen)“ werden künftig genauso förderfähig sein, wie Formen des Quartiersmanagements und interkommunale Maßnahmen sowie Stadt-Umland- Kooperationen. Darüber hinaus enthält der Katalog die Möglichkeit zur Initiierung von „Maßnahmen mit hohem Innovations- und Experimentiercharakter in außerordentlichen Stadtentwicklungsformaten“. In diesem Kontext sieht die Verwaltungsvereinbarung gleich mehrfach die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger einschließlich von Kindern und Jugendlichen sowie von „schwer erreichbaren Bevölkerungsgruppen“ vor.

Leicht ließe sich kritisieren, dass dieser Katalog einem zu breit aufgestellten „Gemischtwarenladen“ ähnele, mit dem das seit Jahren praktizierte „Gießkannenprinzip“ mit einem jährlich vom Bund zur Verfügung gestellten Gesamtbudget in Höhe von 790 Mio. Euro nur noch verschärft werde. Eine gezielte und nachhaltige Förderung strukturschwacher Kommunen könne angesichts der bereits in der Vergangenheit bestehenden Überzeichnung der Programme – also dem Umstand, dass die Kommunen mehr Förderanträge stellen als die Länder bewilligen können – auf diese Weise kaum gelingen. Tatsächlich könnte der Wettbewerb um Fördermittel unter den Kommunen bei einem breiteren Katalog an Fördertatbeständen noch zunehmen. Allerdings war und ist die Städtebauförderung aus guten Gründen eine Anschubfinanzierung. Und so kann der für die Städtebauförderung zur Verfügung gestellte Mittelansatz mit Blick auf die von der Gesamtheit der Kommunen pro Jahr getätigten Ausgaben in Höhe von knapp 200 Mrd. Euro immer nur einen Bruchteil ausmachen – zumal die kommunale Investitionstätigkeit schon seit längerem an eine „gläserne Decke“ aus aufgestauten Investitionsrückständen der vergangenen Jahre, fehlendem Personal in den Stadtplanungs- und Baudezernaten sowie einer Auslastung des Baugewerbes gestoßen ist.

Umso mehr gilt es, den Paradigmenwechsel in der neuen „Verwaltungsvereinbarung Städtebauförderung 2020“ hin zu einem transformativen Stadtumbau ernst zu nehmen und zu nutzen: In der Vergangenheit waren Maßnahmen der Städtebauförderung auf den „sozialen Zusammenhalt und die Integration aller Bevölkerungsgruppen“ in Räumen „mit erhöhten strukturellen Schwierigkeiten zu konzentrieren“, um dort durch eine „Behebung städtebaulicher Missstände“ die Attraktivität der Städte und Gemeinden als Wohn- und Wirtschaftsstandort zu stärken. In Zukunft zielt die Städtebauförderung hingegen auf eine „zukunftsfähige, nachhaltige und moderne Entwicklung der Städte und Gemeinden“ durch „nachhaltige Innenentwicklung“, „Reduzierung des Flächenverbrauchs“ sowie „bedarfsgerechte und zukunftsorientierte Infrastrukturen“. Auf diese Weise gilt es, „Teilhabe und Austausch am gesellschaftlichen Leben für alle zu ermöglichen und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ zu stärken. Hinter dieser Vorstellung steht – mindestens implizit – die Vorstellung einer an Nachhaltigkeitszielen orientierten urbanen Transformation.

Nachdem der Begriff „Transformation“ lange Zeit eher Gegenstand der wissenschaftlichen Debatte war, hat er in den letzten Jahren mehr und mehr Einzug in die politischen Diskussionen gehalten. In seiner Abstraktheit hat er dabei – ähnlich wie auch schon der „Reform“-Begriff vor ihm – das Zeug, zu einer bloßen Hülse zu verkommen. Auf kommunaler Ebene geht es dabei aber um nicht mehr und nicht weniger als die bewusste Gestaltung eines zielgerichteten Wandels der Städte und ihrer Infrastrukturen in Richtung Nachhaltigkeit. So sollen die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten sowie universelle Mindeststandards für substanzielle, politische und ökonomische Teilhabe und eine Anerkennung der kulturellen und räumlichen Diversität der Städte und Stadtgesellschaft en einschließlich einer Stärkung vorhandener Kreativitäts- und Innovationspotenziale gewährleistet werden.

Mit der „Verwaltungsvereinbarung Städtebauförderung 2020“ ist der erste Schritt in diese Richtung getan. Für eine „neue Generation“ des Stadtumbaus leistet sie bei den Verantwortlichen aus Politik und Administration einen wichtigen Beitrag zur Bewusstseinsbildung hinsichtlich bereits heute bestehender Transformationsnotwendigkeiten. Nun müssen die Kommunen die neuen Gestaltungsspielräume für grundlegende Veränderungen und zum Experimentieren nutzen. Integrierte Stadtentwicklung muss dazu tatsächlich gelebt werden. Neben einer fach- und dezernatsübergreifenden Zusammenarbeit muss dazu periodenübergreifend und unter aktiver Einbeziehung der Bürgerschaft die Stadt von übermorgen vorausschauend geplant werden. Transformative Stadtentwicklungsmaßnahmen dürfen sich nicht in einer Aufwertung oder Wiederherstellung von benachteiligten Quartieren erschöpfen. Vielmehr gilt es, mit entsprechenden Maßnahmen – unter Einbeziehung der je spezifischen Potenziale – den Einstieg in einen umfassenden Umbau der Städte vorzunehmen. Dies schließt viele wichtige Bereiche ein: den Umbau der städtischen Energiesysteme zur Gewinnung von Energieeffizienzpotenzialen im Quartierskontext und eine substanzielle Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien an der Wärmeversorgung, heterogene und kleinteiligere Erzeugungsstrukturen, neue Betreiber- und Geschäftsmodelle, den Umbau und die Neuorganisation städtischer Mobilitätssysteme, die Neuordnung von Verkehrsflächen einschließlich autofreier Quartiere, aber auch Maßnahmen zur Förderung der urbanen Produktion, Landwirtschaft und Ernährung einschließlich neuer Arbeitsformen sowie zur Integration und Förderung der kulturellen Diversität.

aus: Difu-Magazin Berichte 1/2020