Informationen zur modernen Stadtgeschichte (IMS),

Stadt und Revolution 1848/49

Cover der Publikation

Informationen zur modernen Stadtgeschichte (IMS), Bd. 1, 1998, 89 S., Deutsches Institut für Urbanistik 1998

Inhalt

Den thematischen Schwerpunkt dieses IMS-Heftes begründet ein Leitartikel von Hans-Werner Hahn, Neuzeit-Historiker an der Universität Jena, in dem es u. a. heißt:

"Die Städte waren im deutschen Vormärz die wichtigste Machtbasis der bürgerlich-liberalen Oppositionsbewegung gegen den monarchisch-bürokratischen Obrigkeitsstaat. Die Revolution von 1848/49 war dann zwar keine rein städtische Angelegenheit. Die ländlichen Konflikte und das massive Eingreifen der Bauern in die Märzereignisse verschafften ihr einen wesentlichen Teil ihrer Dynamik. Dennoch bildeten die Städte den eigentlichen Ausgangspunkt der Revolution und prägten zugleich nachhaltig ihren Verlauf. Arbeiten zur Geschichte der Revolution von 1848/49 haben sich folglich schon immer sehr ausführlich mit den städtischen Entwicklungen in den Revolutionsjahren 1848/49 beschäftigt. Dennoch beklagten die Revolutionshistoriker noch vor wenigen Jahren, daß das Forschungsfeld "Stadt und Revolution" noch zu viele weiße Flecken aufweise. Die Gründe für diesen Befund lagen darin, daß innerhalb der deutschen Geschichtsschreibung lange Zeit die ereignis- und ideengeschichtlichen Fragestellungen im Vordergrund standen. Zudem wurden Positionen und Entwicklungen der Städte, etwa bei der Frage nach der Bedeutung der Revolution für die städtische Selbstverwaltung, zu sehr aus der nationalen beziehungweise staatlichen Perspektive untersucht. Erst in den letzten drei Jahrzehnten vollzog sich in mehrfacher Hinsicht ein Wechsel der Perspektiven, der Fragestellungen und Untersuchungsmethoden.

In diesem Zusammenhang muß zunächst einmal auf die neuen sozialgeschichtlichen Forschungsansätze verwiesen werden, die seit den sechziger Jahren in der deutschen Geschichtswissenschaft verstärkt aufgegriffen wurden und auch die Revolutionsforschung auf neue Grundlagen stellten. Sie haben für das Thema Stadt und Revolution zweifellos einen großen Erkenntnisgewinn gebracht. Ihre Erklärungsansätze stießen aber auch auf Grenzen. Die neuen Arbeiten richteten den Blick ganz auf die jeweiligen Strukturen, hinter denen die handelnden Individuen mit all ihren vielfältigen Interessen und Verhaltensweisen zu verschwinden drohten. Der mit aufwendigen statistischen Analysen ermittelten sozialen Lage, den Einkommens- und Lebensverhältnissen oder dem jeweiligen sozialen Rang in einer städtischen Gesellschaft stand keineswegs immer ein gleiches politisches Verhalten gegenüber. Die von den wirtschaftlichen und sozialen Krisen so hart getroffenen Handwerker schlossen sich in ein und derselben Stadt teilweise höchst unterschiedlichen politischen Richtungen an. Unterschichtenprotest konnte einmal den politischen Druck verstärken, den die liberale Opposition auf die alten Gewalten ausübte. Er wurde andererseits aber auch von konservativen Kreisen genutzt, um unzufriedene Unterschichten gegen die bürgerlichen städtischen Eliten zu mobilisieren.

Weiterführende Ergebnisse brachte deshalb erst die seit den achtziger Jahren verstärkt betriebene anthropologische Erweiterung und Ergänzung der Sozialgeschichte. Die Untersuchungen über die Lebensbedingungen und Verhaltensformen städtischer Schichten, über die Bedeutung konfessioneller Faktoren, die Kommunikationsformen der städtischen Revolution oder die unterschiedliche Deutung und Verarbeitung politischen und sozialen Wandels lassen die städtischen Revolutionsbewegungen vielfach in ganz neuem Licht erscheinen. Die Revolution war nicht nur bestimmt vom Kampf um Einheit und Freiheit. In sozialökonomischer Hinsicht besaßen die Revolutionsbewegungen vielmehr oft den Charakter einer letzten Abwehrschlacht gegen den Siegeszug der modernen industriekapitalistischen Entwicklung. In vielen Aktionen und Verhaltensweisen mischten sich traditionale und moderne Elemente.

Nachdem im Zuge der neuen Forschungsansätze zunächst eher die klein- und unterbürgerlichen Schichten der Städte in das Blickfeld gerückt wurden, hat die Forschung der letzten Jahre auch die Eliten und die mittleren Schichten des städtischen Bürgertums stärker einbezogen. Inzwischen ist an vielen Einzelbeispielen deutlich geworden, welch enorme Bedeutung die Revolution von 1848/49 auch für die lokale Politik besaß. Zum einen ging es den liberalen und demokratischen Kräften darum, die Selbstverwaltungsrechte der Gemeinden gegenüber dem Staat zu erweitern und ausreichend zu sichern. Zum anderen veränderten sich mit der Revolution auch die politischen Mitwirkungsmöglichkeiten des Bürgers innerhalb seiner Stadt. Mit dem politischen Vereinswesen und mit teilweise durchgeführten Wahlrechtsänderungen wuchs der Druck auf die bisherigen lokalen Eliten. Schon im März 1848 wurden Bürgermeister aus ihren Ämtern verdrängt und städtische Gremien neu gewählt. Bislang von den städtischen Entscheidungsinstanzen ferngehaltene Teile der Bürgerschaft drängten auf eine direkte Beteiligung. Beisassen und Juden wurden vielfach durch die neuen Gesetze den bislang privilegierten Stadtbürgern gleichgestellt.

Eine der wichtigen Fragen, die in der neuen stadtgeschichtlichen Forschung diskutiert werden, betrifft den Zäsurcharakter der Revolution von 1848. Besonders in den Arbeiten des Frankfurter Forschungsprojektes "Stadt und Bürgertum im 19. Jahrhundert" wird betont, daß die durch den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wandel der ersten Jahrhunderthälfte entstandene lokale Einheit der bürgerlichen Bewegung durch die Revolution von 1848/49 wieder zerbrochen sei. Für die Stadtentwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte dies ambivalente Wirkungen. Einerseits förderte die Machtzementierung des Bürgertums und sein enger werdendes Verhältnis zu den staatlichen Machtträgern die wirtschaftliche Entwicklung der Städte und den Aufbau einer effizienten städtischen Leistungsverwaltung. Andererseits wurden die Chancen für demokratische Lernprozesse, die in der Revolutionszeit so stark vorangetriebenen worden waren, durch die staatlichen Eingriffe in Selbstverwaltung, Presse und Vereine auch auf der kommunalen Ebene wieder beschnitten. Dennoch blieb der Aufbruch, den die Revolution von 1848/49 für die politische Kultur der deutschen Städte brachte, nicht folgenlos. Die in der Revolution durchgesetzte Öffentlichkeit der kommunalen Repräsentationsorgane wurde beibehalten und förderte zumindest langfristig eine neue Politisierung auf der lokalen Ebene. Hinzu kam, daß neue politische Kräfte wie die Arbeiterbewegung in der Revolution erstmals auf der städtischen Bühne hervorgetreten waren.

Abschließend bleibt festzuhalten, daß die neueren Arbeiten zum städtischen Revolutionsgeschehen vor allem die Vielfalt von Strukturen, Verhaltensweisen und Deutungsmustern hervorheben. Angesichts der unterschiedlichen Stadttypen in der deutschen Städtelandschaft des 19. Jahrhunderts und der sozialen Heterogenität der Stadtgesellschaften ist dies auch wenig verwunderlich. Trotzdem wäre es verfehlt, die Revolution in eine Fülle nebeneinander stehender lokaler oder sozialer Bewegungen aufzulösen. Gerade der Blick in die als Kommunkationszentren der Revolution fungierenden Städte zeigt nämlich sehr anschaulich, wie sehr die lokalen Entwicklungen dann doch immer wieder auch von den gemeinsamen großen politischen Zielen und den auf der nationalen Ebene getroffenen Entscheidungen bestimmt wurden."

Das IMS-Heft enthält zusätzlich zu den thematischen Beiträgen Tagungs- und Projektberichte sowie ständig wiederkehrende Übersichten, unter anderem über neue stadtgeschichtliche Literatur, stadt- und kommunalgeschichtliche Lehrveranstaltungen und Tagungstermine.

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