Raus aus dem Kleinklein der Kommunalfinanzierung!
Egal wie die neue Bundesregierung aussehen wird – ein Thema wird in den kommenden Jahren wieder ganz oben auf der politischen Agenda stehen: die öffentliche Daseinsvorsorge der Kommunen und ihre Finanzierung. Schon im Bundestagswahlkampf 2017 kursierten Forderungen nach Einsetzung einer Kommission zur "Wiederherstellung der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse". Neben den kommunalen Spitzenverbänden und dem Aktionsbündnis "Für die Würde unserer Städte" fand sich dieses Thema auch in der Mehrzahl der Wahlprogramme der Parteien und nun auch im Sondierungspapier für die neue Große Koalition. Um die Problematik tatsächlich politisch breit bearbeiten zu können, wird es jedoch einer integrierten Perspektive bedürfen, die über eine Betrachtung fiskalischer Missstände hinausgeht.
Zwar wird dieser Anspruch mit Verweis auf die Formel von der "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse" reklamiert. Der letzte Versuch einer Gemeindefinanzreform, die beiden Föderalismusreformen sowie die jüngste Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen verhakelten sich allerdings stets im Kleinklein fiskalischer Detailfragen. Nimmt man dieses Grundgesetz-Postulat hingegen wirklich ernst, geht es nun nicht mehr und nicht weniger als die gesellschaftliche Integrationsfähigkeit von Kommunen und Regionen, die durch die tagtägliche Bereitstellung ihres öffentlichen Leistungsangebots, ihres Personals und ihrer Infrastrukturen gewährleistet wird. Zwar lassen sich aus diesem Postulat keine unmittelbaren Ansprüche im Verhältnis zwischen Staat und Bürgern bzw. zwischen den föderalen Ebenen ableiten. Allerdings prägt sie wie kaum ein anderes Narrativ den politischen Diskurs in der Bundesrepublik. Zu Recht. Denn die integrierende Wirkung der kommunalen Daseinsvorsorge besitzt einen Eigenwert, der leider oft erst dann breite Wertschätzung erfährt, wenn wirtschaftliche Strukturprobleme negative Dominoeffekte erzeugen und ganze Landstriche in eine Abwärtsspirale versetzen oder bei Wahlen die politischen Ränder erstarken.
Schon lange ist die Finanzmisere der Kommunen offenkundig – daran ändern auch die Überschüsse der Jahre 2016 und 2017 nichts. Neben einem Schuldenberg von rund 130 Mrd. Euro sitzen die Kommunen auf einem Bestand an Kassenkrediten von rund 50 Mrd. Euro. Das Problem dabei: Die Belastungen verteilen sich sehr ungleich auf die Kommunen in den verschiedenen Bundesländern. Der wahrgenommene Investitionsrückstand, den das Difu jedes Jahr auf Basis von Einschätzungen der Kommunen errechnet, lag 2016 bei rund 126 Mrd. Euro. Nicht umsonst schrumpft der Bestand des kommunalen Vermögens seit 2002. Zudem sind die Sozial- und Personalausgaben in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Schon ein paar dieser Kennziffern reichen, um ein düsteres Bild der kommunalen Finanz- und Haushaltslage zu zeichnen – nicht selten bemüht im politischen Diskurs. Die Realität ist jedoch deutlich komplizierter. Denn gegenwärtig ist durchaus mehr Geld im System als noch vor einigen Jahren. Neben dem Anstieg der Steuereinnahmen stehen Ländern und Kommunen auch deutlich mehr Mittel aus diversen Förderprogrammen des Bundes zur Verfügung: Neben den inzwischen vier Investitionsprogrammen "Kinderbetreuungsfinanzierung" zum Kita-Ausbau, dem Ganztagsschulprogramm und der Kompensation für die Flüchtlingsunterbringung bilden das Teilhabegesetz, der Kommunalinvestitionsförderungsfonds und die deutliche Mittelerhöhung für den Städtebau nur einige Beispiele aus der immer länger werdenden Liste an Mischfinanzierungen. Und die nächsten Programme warten schon auf die Umsetzung, wie auch im Sondierungspapier für die Neuauflage der Großen Koalition vorgesehen: seien es die "Diesel-Milliarde" zur Reduktion der Feinstaubbelastung in den Städten, der "Digitalpakt" zur Ausstattung der Schulen mit digitaler Infrastruktur, ein neues Ganztagsschulprogramm oder ein neuer Investitionsfonds, gespeist aus Versteigerungserlösen der 5G-Lizenzen. Die Kehrseite dabei: Verwenden die Kommunen Gelder, die nicht aus eigenen Einnahmequellen stammen, sitzen bei der Verausgabung immer Dritte mit am Tisch, die über Zweck, Höhe, Zeitraum und Bedingungen der Mittelverwendung mitentscheiden. Statt einer Stärkung der allgemeinen Finanzautonomie erfolgt dann – zumindest in den investiven Aufgabenfeldern – immer stärker eine Finanzierung nach Programmlage.
Damit wird nicht nur das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltungsautonomie untergraben, das sich vielleicht noch als verfassungstheoretisches Abstraktum abtun ließe. Vielmehr kommen viele Städte und Gemeinden angesichts der zunehmenden Zahl an Programmen aus der Mittelbeantragung und entsprechenden Projektabwicklung nicht mehr heraus. Den zuständigen Fachämtern, die in den vergangenen Jahren unter dem Stichwort der "Verwaltungsmodernisierung" einen personellen Aderlass zu verkraften hatten, fehlt es inzwischen nicht selten an qualifizierten Mitarbeitern, um die existierenden Förderangebote auch umfassend in Anspruch zu nehmen. Auch tun sich finanzschwächere Kommunen oft deutlich schwerer mit dem Abruf der bereitgestellten Mittel, da Förderhöchstsätze vorgegeben und durch einen Eigenanteil kofinanziert werden müssen. Zudem sind Förderperioden zeitlich befristet und Planungs- und Folgekosten nicht förderfähig. Gut gemeinte Förderprogramme scheinen mithin allenfalls bedingt geeignet, um bestehende Disparitäten im Kommunalvergleich abzubauen.
Unter dem Gesichtspunkt fiskalischer Nachhaltigkeit muss die stete Ausweitung von Mischfinanzierungsprogrammen ebenfalls hinterfragt werden. Die Mittel von Bund und Ländern reichen oft nicht über eine Anschubfinanzierung hinaus. Wenn beispielsweise allein die Umrüstung der Busflotte einer einzigen Großstadt mit 200.000 Einwohnern bis zu 30 Mio. Euro kosten kann, wird schnell deutlich, dass für die 78 anderen Städte dieser Größenklasse insgesamt ein Fördervolumen von 2,3 Mrd. Euro vom Bund benötigt würde – die mittleren und kleinen Städte sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Und dabei stellt der ÖPNV nur einen Infrastrukturbereich unter anderen dar, der von den Kommunen in den kommenden Jahren – je nach Bevölkerungsentwicklung – unterhalten, aus-, um- oder rückgebaut werden muss. Mit Blick auf die klima- und energiepolitischen Ziele auf nationaler und internationaler Ebene sowie den auch in den Städten immer spürbarer werdenden Klimawandel bestehen für viele dieser Infrastrukturen grundlegende Transformationsnotwendigkeiten, die über eine klassische Instandhaltung bei Verschleiß oder den Ersatz nach gesetzlicher Abschreibung hinausgehen. Hierzu bedarf es vorausschauender Infrastruktur- und Finanzplanungen, die mit der Logik der zeitlich befristeten Projektfinanzierung bestehender Mischfinanzierungen nicht kompatibel sind.
Es ist mithin dieser Dreiklang aus zukunftsweisenden Infrastrukturinvestitionen, qualifizierter Personalausstattung und Stärkung der Finanzautonomie der Kommunen, der zum Gegenstand der Beratungen in einer neuen Gemeinde(finanz-)reform-Kommission gemacht werden sollte. Darüber hinaus sind es aber auch die Städte selbst, die zu einer Weiterentwicklung der strategischen Investitions- und Finanzplanung beitragen müssen: Mit einem klima- und demographiegerechten Umbau der kommunalen Infrastrukturen wird nicht nur der Kapitalstock der Kommunen wieder stabilisiert, sondern auch ein Beitrag für die Lebensqualität und damit den Zusammenhalt der Stadtgesellschaften geleistet. Zudem bedarf es in den Kommunen fachübergreifender Diskussionen, in die – neben Finanzexperten – z.B. gezielt auch Stadtplaner, Infrastruktur- und Klimaexperten einbezogen werden. Die Ausgestaltung der Kommunalfinanzierung sollte diesen Anforderungen folgen – und nicht umgekehrt. Eine weitere Ausweitung der Mischfinanzierungsprogramme ist dafür nicht zielführend. Vielmehr sollte eine substanzielle Stärkung der kommunalen Finanzautonomie durch die kommunalen Finanzausgleichssysteme der Länder und durch eine Erhöhung der kommunalen Anteile an den Gemeinschaftssteuern erfolgen.
aus: Difu-Magazin Berichte 1/2018