Foto einer Gewerbefläche. Zu sehen sind ein Bagger, Dämmmaterial, Container und eine Betonwand.
Standpunkt

Wirtschaftsflächen brauchen Steuerung und Flexibilität

Die räumlichen Auswirkungen des ökonomischen Wandels sowie neue Formen urbanen Wirtschaftens und Arbeitens erfordern eine Stadtentwicklung, die eine Balance zwischen konsequenter Sicherung sowie mehr Offenheit und Nutzerbeteiligung herstellt.

Der Megatrend der Digitalisierung beschleunigt bestehende ökonomische Entwicklungstrends wie Hybridisierung und Individualisierung der Massenfertigung, Wissensbasierung und zunehmende Vernetzung. Die neue Qualität der digitalen Vernetzung zwischen Menschen, Maschinen und Dingen bringt komplexe Wertschöpfungssysteme hervor, die nicht nur Produktion und Dienstleistungen integrieren – sie führen auch Unternehmen und Kunden zusammen. Mit diesen Trends sind veränderte Standortentscheidungen von Unternehmen und ihren Beschäftigten sowie Veränderungen der Flächennutzung und -nachfrage verknüpft, die sich auf die Stadtstruktur und die Aufgaben der Stadtentwicklungsplanung insgesamt auswirken.

Neue Wirtschafts- und Arbeitsformen wie Open Creative Labs – z.B. Acceleratoren, Incubatoren, Co-Working – und Wachstumsbranchen wie die Kreativwirtschaft konzentrieren sich auf wachsende Städte und präferieren dort kleinteilige Flächen in integrierten, urbanen Lagen. Im Bereich der Produktion wird mit dem Begriff „Urbane Produktion“ die Rückkehr der Stadtfabrik thematisiert. Er ist jedoch unpräzise, da er sehr unterschiedliche Nutzungen beinhaltet: kleinteilige Manufakturen an der Grenze zum Handwerk und traditionelles Stadteilgewerbe sowie Produktionsformen der Industrie 4.0. Zu Letzterer besteht bisher kaum empirische Evidenz. Grundsätzlich stehen einer Produktion in der Innenstadt vielfache Hürden gegenüber, speziell planungsrechtliche Einschränkungen wie Emissionsgrenzen, die standortspezifisch bewertet werden müssen.

Foto: alte Fabrikgebäude aus Backsteinen
Alte Baumwolle Flöha

Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und veränderter Arbeitswelten gewinnen neben den Standortpräferenzen der Unternehmen die Präferenzen potenzieller Mitarbeiter für ihren Wohn- und Arbeitsort an Relevanz. Die Nähe von Wohnen und Arbeiten, das Erscheinungsbild des Betriebsstandortes, das Versorgungs- und Freizeitangebot werden so zu wichtigen Aspekten bei der Unternehmensansiedlung. Auch hier zeigt sich, dass für Hochqualifizierte und Fachkräfte – je nach Branche – urbane Standorte besonders attraktiv sind.

Für die Wirtschaftsflächenplanung bedeutet dies eine weitere Ausdifferenzierung der Flächennachfrage um kleinteilige Flächen in integrierten oder urbanen Lagen. Gleichzeitig wächst mit dem Zuzug in die „Schwarmstädte“ und der steigenden Nachfrage nach Wohnflächen der Druck auf Wirtschaftsflächen in attraktiven Lagen.

Die Stadtentwicklungsplanung in den wachsenden Städten ist gefordert, Nutzungskonkurrenzen zwischen Wohnen und Gewerbe auszugleichen und Verdrängungsprozesse innerhalb gewerblicher Nutzungen im Blick zu behalten. So werden KMU und „traditionelles Stadtteilgewerbe“ durch finanzstärkere Unternehmen der Kreativ- und Kulturwirtschaft verdrängt. Insgesamt ist die Flächennachfrage nach neuen „urbanen Standorten“ jedoch weniger quantitativ als qualitativ von Bedeutung. Sie wirkt jedoch positiv auf das Image einer Stadt als innovativer und kreativer Standort und verleiht den „neuen Räumen der Wirtschaft“ Sichtbarkeit.

Für die Wirtschaftsflächenplanung sind neben sich wandelnden Standortpräferenzen und Flächennachfragen auch veränderte Verkehrsströme wichtig. Diese werden zunehmend komplexer und kleinteiliger. Das Wachstum des Online-Handels und die individualisierte Massenfertigung haben zur Folge, dass die Zahl der Transportwege und Lieferpunkte steigen. Damit verändern sich die Flächenbedarfe im Bereich Verkehr und Logistik: Neben großflächigen Logistikzentren und Kontraktlogistiknutzungen wächst die Nachfrage nach kleinteiligen, innerstädtischen Flächen für Subverteilzentren und eine effiziente City-Logistik.

Diese ökonomischen Entwicklungstrends, speziell die Verschmelzung von Produktion und Dienstleistung in lokal eingebetteten Wertschöpfungssystemen, erfordern eine Gesamtbetrachtung, die Industrie-, Gewerbe und Büroflächenentwicklung zusammenführt. Die „Kategorien“ von Branchen und Sektoren bilden immer weniger die ökonomische Realität ab. Einige Kommunen haben bereits ihre Planung um Wirtschaftsflächenkonzepte erweitert, die Büro- und Dienstleistungen sowie gemischtgenutzte Standorte mit einschließen. Auch vor dem Hintergrund der Baurechtsnovelle, mit der gerade die Gebietskategorie „Urbanes Gebiet“ eingeführt wurde, ist dies ein zukunftsweisender Schritt. Um hier neue Formen der Nutzungsmischung erproben zu können, ist die Kooperation zwischen den Fachplanungen in Abstimmung mit der Wirtschaftsförderung unerlässlich. Darüber hinaus sind regionale Bezüge von zentraler Bedeutung – besonders bei hohem Wachstumsdruck und begrenzter Flächenverfügbarkeit. Eine Wirtschaftsflächenpolitik kann nur in Kooperation mit dem Umland wirkungsvoll sein und bildet die Grundlage für eine erfolgreiche interkommunale Zusammenarbeit.

Nicht zuletzt erfordern die Notwendigkeit der Ausrichtung an nationalen und kommunalen Nachhaltigkeitszielen, der Klimaschutz aber auch Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen der Unternehmen eine effizientere und umweltfreundlichere Flächen- und Ressourcennutzung. 40 Prozent des deutschen Endenergieverbrauchs entfallen auf Industrie bzw. Gewerbe, Handel und Dienstleistungen, also auf Aktivitäten, die meist auf Wirtschaftsflächen stattfinden. Betriebe sind im globalen Wettbewerb zunehmend gefordert kostensparender zu wirtschaften. So wird die Nachfrage nach qualifizierten, effizienten Flächen im Zuge der Industrie 4.0 steigen. Große Potenziale aber auch Herausforderungen für entsprechende Flächenqualifizierungen liegen dabei in den Bestandsflächen.

Mit Blick auf zunehmende Nutzungskonkurrenzen und den Wettbewerb um die höchste Bodenrendite sind Wirtschaftsflächen in besonderem Maße auf planerische Sicherung angewiesen. Ein zentrales Steuerungsinstrument ist die Umsetzung einer aktiven Liegenschaftspolitik. Die größte Eingriffsmöglichkeit haben Kommunen auf eigenen Flächen. Auch Erbpachtverträge ermöglichen Einflussnahme, und über Konzeptverfahren können Entwicklungsspielräume bei der Vergabe von Liegenschaften definiert werden. Nach dem langen Trend des Flächenausverkaufs in Kommunen und der Einsicht, dass neben fehlenden Aktivierungsmöglichkeiten auch Folgekosten durch Flächenerschließungen den kommunalen Haushalt belasten statt entlasten, wird aktuell wieder vermehrt über Flächenankäufe bzw. aktiven Zwischenerwerb von brachgefallenen und untergenutzten Flächen diskutiert.

Die neuen Herausforderungen der Wirtschaftsflächenentwicklung liegen somit darin, einerseits auf „Gewissheiten“ wie steigende Flächennachfrage, Zunahme der Dienstleistungen, wissensintensiven und kreativen Tätigkeiten sowie unveränderte Bedeutung des produzierenden Bereichs mit einer starken Steuerung und Planung zu reagieren. Andererseits muss den „Ungewissheiten“ wie Auswirkungen der Hybridisierung und Industrie 4.0 mit Flexibilität und Offenheit begegnet werden. Viele der heute bedeutenden „neuen Formen der gewerblichen Nutzungen“ haben sich in Städten auf dem Boden einer „planerischen Unterlassung“ entwickelt wie die Kreativwirtschaft aus der Zwischennutzung. Mögliche Antworten liegen in Instrumenten wie nutzergenerierten Konzepten und Beteiligungsformaten bis hin zur Strategie der aktiven Unterlassung für ausgewiesene Stadträume. Standortspezifische Angebote und Entwicklungsperspektiven sind über Pilotprojekte und Reallabore entwickelbar. Mit dem Einsatz eines Klimaschutz- und Gebietsmanagements können lokale Bedarfe und Entwicklungsziele austariert und mit Stakeholdern umgesetzt werden.

aus: Difu-Magazin Berichte 3/2017