Foto: eine Netzwerk aus grünen Kletterseilen, die durch silberfarbene Metallstücke verbunden sind.
Standpunkt

Gekoppelte Infrastrukturen sind nicht nur eine technische Herausforderung

Infrastrukturkopplungen gibt es seit langem. Neu ist die durch Informations- und Kommunikationstechnologien, Energiewende und Klimawandel ausgelöste Dynamik des engeren Zusammenwachsens von Infrastrukturen, die sich im städtischen Raum auswirkt.  

Wenn über die weitere Entwicklung technischer Infrastrukturen gesprochen wird, so ist neuerdings oft von gekoppelten Systemen oder Sektorkopplung die Rede. Doch was bedeutet eigentlich "Kopplung" und was hat dies mit Stadtentwicklung zu tun? Von einer Kopplung von Infrastrukturen kann gesprochen werden, wenn mindestens zwei Infrastrukturen in Abhängigkeit zueinander bestehen bzw. miteinander interagieren. Eine solche Kopplung kann einseitig sein, also wenn eine Infrastruktur von der anderen abhängig ist, oder gegenseitig, wenn beide Infrastrukturen wechselseitig voneinander abhängig sind.

Infrastrukturkopplungen können unterschiedlich tief ausgeprägt sein. Zunächst geht es um die Verbindung zwischen verschiedenen Infrastruktursektoren wie etwa Energie, Verkehr, Abfall, Siedlungswasserwirtschaft oder dem Informations- und Kommunikationssektor. Im Weiteren geht es aber um Kopplungen von Teilsektoren, beispielsweise Strom und Wärme im Rahmen der Kraft-Wärme- Kopplung, oder – noch spezifischer – innerhalb eines Teilsektors, etwa von Anlagen der Stromerzeugung und Anlagen der Stromspeicherung. Auch Teilsektoren verschiedener Infrastrukturen können miteinander gekoppelt sein, etwa bei direktelektrischen Antrieben oder wenn Stromüberschüsse aus Erneuerbare-Energien-Anlagen gewandelt und damit unterschiedliche Nutzungen ermöglicht werden. Beim letzteren Beispiel ist oft von Power-to-X (Power-to-Heat, Power-to-Gas, Power-to-Liquid usw.) die Rede. Bei diesen Verbindungen handelt es sich um technisch-funktionale Kopplungen im Sinne der Abhängigkeit einer Infrastruktur vom Energie- und Materialfluss einer anderen Infrastruktur. Solche Kopplungen stehen in einem zeitlichen wie räumlichen Zusammenhang. Vor allem aber ist es die Digitalisierung, die zu einem verstärkten Kommunikations- und Informationsfluss zwischen Infrastrukturen und damit vielfältig neuen, letztlich auch organisatorischen Zusammenschlüssen führt.

Kopplungen zwischen Infrastruktursektoren gibt es seit Langem. Im Zentrum steht dabei der Energiesektor, von dem andere stadttechnische Systeme abhängig sind. Keine S-Bahn oder Straßenbahn, keine Wasserversorgung oder Abwasserbehandlung ohne die dafür notwendige Stromversorgung. Auch Kopplungen zwischen Teilsektoren innerhalb eines Sektors sind lange bekannt, beispielsweise die Kopplung zwischen Stromerzeugung und Stromverteilung. Neu sind die rasant steigende Abhängigkeit von Strom und Information sowie die zunehmend wechselseitige Abhängigkeit sowohl zwischen Sektoren, Teilsektoren und sektorübergreifenden Teilsektoren. In diesem Zusammenhang wird heute von Sektorkopplung (oder auch Sektorenkopplung) gesprochen und der Begriff meist auf die Bereiche Elektrizität, Wärme/Kälte und Verkehr (vor allem Elektrofahrzeuge) bezogen.

Die Gründe für die zunehmende Bedeutung von infrastrukturellen Kopplungen liegen einerseits in den Grunddienstleistungen, die Infrastrukturen für die Allgemeinheit erbringen sollen. Strom, Wärme, Daten usw. sollen universell, kontinuierlich und an jedem Ort zur Verfügung stehen. Damit diese Versorgungssicherheit auch in Zukunft gewährleistet ist, müssen Systeme so aufgebaut sein, dass eine Unterbrechung der Leistungsbereitstellung nahezu ausgeschlossen ist. Dies wird gewährleistet, indem Erzeugungsanlagen redundant, also mit ausreichender Reservekapazität geplant, mit anderen Anlagen vernetzt und mit ausreichend Speicherkapazität verbunden werden. Kopplung sorgt also gleichermaßen für stabile Versorgung auch dann, wenn einzelne erneuerbare Energien (etwa Wind- oder Solarenergie) aufgrund unterschiedlicher Witterungsbedingungen nicht ständig zur Verfügung stehen. Sie sorgt zugleich aber auch für eine umfassende Integration von erneuerbaren Energien und Synergieeffekte zwischen Sektoren.

Sektorübergreifende Kopplungen gewinnen andererseits aber auch in anderen Zusammenhängen an Relevanz. So sind Klimaanpassungsmaßnahmen zunehmend ein Auslöser für neuartige Kopplungen, etwa wenn es darum geht, bei Starkregen eine nur gedrosselte Ableitung über die Kanalisation sicherzustellen und Regenwasser auf öffentlichen Grünflächen zu speichern und zu versickern.

Intelligente ("smarte") Technologien ermöglichen neue Verknüpfungspunkte und helfen, Infrastrukturen ganz anders zu steuern. So bedarf es heute viel weniger als in der Vergangenheit einer Energieversorgung mit sehr großen Reservekapazitäten auf der Angebotsseite. Stattdessen kann sowohl die Einspeisung und Speicherung von Energie als auch der Verbrauch bedarfsgerecht über intelligente Netze ("Smart Grid") geregelt werden. Auf diese Weise kann auch die Widerstandsfähigkeit von Infrastrukturen erhöht werden, da die Versorgung nicht von einer einzigen Versorgungsanlage oder einem einzelnen Versorgungssystem abhängig ist. Die Kopplung und damit die Kombination verschiedener Teilsysteme gewährleistet, dass auf Ausfälle besser reagiert werden kann.

Infrastrukturkopplungen führen aber auch zu Anpassungen der infrastrukturellen Mengengerüste. Der großräumigen Übertragung etwa von Strom auf Hochspannungsnetzebene stehen Tendenzen einer kleinräumigen "zellulären" Versorgungsphilosophie gegenüber, bei der abhängig von lokalen Gegebenheiten quasi autonome Versorgungsstrukturen geschaffen werden. Das heißt, an die Stelle großer gekoppelter Verbünde treten kleinräumige Verknüpfungen in lokalen Netzen ("Micro Smart Grid") auf der Ebene von Ortsteilen, Quartieren oder gar Gebäuden. Lernende Algorithmen sorgen dabei für die notwendige Stabilität des dezentralen Systems. Damit ist eine größere Vielfalt an möglichen Kopplungen verbunden, was Fragen sowohl in Hinblick auf die geeignete Maßstabsebene von Kopplungen als auch in Hinblick auf eine flächendeckende Versorgungssicherheit aufwirft.

Die neuen und vielfältig engeren Kopplungen stellen eine Herausforderung für die Stadt- und Infrastrukturentwicklung dar, egal ob für die Nutzung von Energie- und Abwärme aus Abwasser und Abfall, den Umstieg von einer fossilen auf eine regenerative Wärmeversorgung oder die Integration von Fahrzeugspeichern in die intelligente Stromnetzsteuerung. All diese Kopplungen finden in Städten und oft auch im öffentlichen Raum statt. Die Auseinandersetzung um Ladestationen für Elektroautos zeigte in den letzten Jahren, dass erhebliche Zielkonflikte zwischen öffentlichen und privatwirtschaftlichen Interessen auftreten können. Politische und planerische Ziele sind daher notwendig, um stadträumlich und infrastrukturell passfähige Abwägungen vornehmen zu können. Die spezifischen Kopplungen lassen sich nicht pauschal beurteilen. Kriterien sind solche der Energie-, Ressourcen- und Flächeneffizienz, der wirtschaftlichen Tragfähigkeit und der sozialen Akzeptanz. In der Debatte um "kritische" Infrastrukturen sind zudem mögliche Risiken im Sinne eines kaskadenförmigen Ausfalls von Teilsystemen infolge von Extremereignissen zu berücksichtigen.

Die enger werdenden Kopplungen zwischen den Infrastrukturen haben aber auch Einfluss auf sektorale Zuschnitte der kommunalen Daseinsvorsorge. Die Stadtwerke als Stromversorger haben daher begonnen, ihre Geschäftsmodelle zu überprüfen und neue Dienstleistungsangebote zu entwickeln. Doch auch die anderen Sektoren sind betroffen: Kein kommunales Verkehrsunternehmen wird es sich beispielsweise künftig noch erlauben können, die digitalen Möglichkeiten für intermodale, nachfrageorientierte Mobilitätsangebote und deren auch technische Verknüpfung zu vernachlässigen. Und jeder kommunale Abwasserentsorger wird seinen Beitrag zur örtlichen Energieversorgung und zur maximalen Steigerung der Energie- und Ressourceneffizienz leisten müssen.

aus: Difu-Berichte-Magazin 2/2017