Gentrifizierung = Gentrifizierung = Gentrifizierung?
Über lange Zeit hinweg – stark generalisiert von den 1970er-Jahren bis weit in die 2000er-Jahre hinein – war die Diskussion um "Stadt" in starkem Maße von der Frage geprägt, wie sich umfangreiche Suburbanisierungsprozesse und eine "Verödung" von Innenstädten aufhalten oder gar umkehren ließen: Wie kann innerstädtisches Wohnen insbesondere für junge und/oder einkommensstärkere Haushalte/Familien (wieder) attraktiv werden, und wie können attraktive Wohnbedingungen als "weicher" Standortfaktor angesichts zunehmender Städtekonkurrenz weiterentwickelt werden?
Mittlerweile hat sich die Ausgangssituation in einigen (Groß-) Städten stark verändert: Sie stehen seit einigen Jahren vor der Herausforderung, angesichts von Zuwanderung sowie steigenden Immobilien- und Mietpreisen eine auch für weniger einkommensstarke Bevölkerungsgruppen leistbare Wohnungsversorgung sicherzustellen. Der mehr oder weniger neue "Run" auf bestimmte Städte führt hier zu teils umfangreichen Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt und damit auch in bestimmten Quartiersstrukturen:
- (flächendeckender) Anstieg von Mietpreisen im Quartier, Rückgang der Angebotsvielfalt mit Blick auf unterschiedliche Preissegmente, Verringerung des Angebots günstigen Wohnraums, Fortzug einkommensschwächerer Haushalte,
- Verdrängung von alteingesessenen (Dienstleistungs-) Unternehmen durch neue Nutzungen/Angebote im Bereich lokale Ökonomie: "Tante Emma"-Supermarkt versus Bioladen, Eckkneipe versus "Starbucks" etc.,
- stärkere Ausrichtung der Infrastruktur an Rentabilitätskriterien bis hin zur Verlagerung oder gar Schließung von kulturellen und sozialen Einrichtungen,
- (Nutzungs-)Konflikte zwischen Alteingesessenen und Zuzüglern,
- Verunsicherung alteingesessener Bewohner und Unternehmer angesichts der Aufwertungssymptome und der Dynamisierung des Lebensraums: "Was wird hier passieren?", "Werde ich hier wohnen bleiben können?", "Wird sich mein Laden halten können?".
An dieser Stelle könnte mit nüchternem Blick bilanziert werden, welche Entwicklungen sich in welchen Quartieren quantitativ belegen und qualitativ nachvollziehen lassen. Solche Bestandsaufnahmen greifen jedoch zu kurz, da hier Belange der sozialen Verteilungsgerechtigkeit tangiert sind, die aus unterschiedlicher Perspektive unterschiedlich vehement problematisiert werden: Am Gegenüber stadtentwicklungspolitisch gewünschter Entwicklungen und ihren "unerwünschten Nebenwirkungen" im Sinne von Gentrifizierung setzen (lokale) Diskurse an. Auf der einen Seite stehen dabei Positionen, die eher Kommunalpolitik und -verwaltung zugeschrieben werden können: Aufwertung als bewusste Bestands- und Standortpolitik (Erhalt, Qualifizierung, Anpassung). Auf der anderen Seite beklagen Aufwertungskritiker unter dem Begriff Gentrifizierung die Verdrängung alteingesessener einkommensschwächerer Haushalte, Schließungseffekte quartiersbezogener Wohnungsmärkte (steigende Mieten etc.), Veränderungen des Quartierscharakters in Richtung einer hochpreisigen Szene. An dieser Stelle der Auseinandersetzung droht die Gefahr, nicht mehr über Sachverhalte zu diskutieren, sondern Aufwertung und Gentrifizierung stellvertretend für spezifische stadt- und gesellschaftspolitische Auffassungen einzusetzen: Viele kommunale Vertreter reduzieren Gentrifizierung pauschal auf einen "Kampfbegriff" kritischer Gruppierungen, die wiederum von Planern hervorgehobene Aufwertungserfolge oftmals mit Strategien einer neoliberalen, unternehmerischen und damit unsolidarischen Stadt gleichsetzen.
Klarheit durch Wissenschaft?
Es stellt sich die Frage, wie mit Gentrifizierung umgegangen werden kann, ohne damit
in diese "Vorurteilsfallen" zu geraten – "Versachlichung" bzw. "Objektivierung" sind hier Stichworte, die in vielen Kommunen zu hören sind. Dabei richtet sich der Blick oftmals zunächst auf die aktuelle wissenschaftliche Gentrifizierungsforschung, von der man sich klare Antworten erhofft, ob, wann und in
welchem Maße Gentrifizierung vorliegt – oder eben auch nicht. Stark generalisierend lässt sich festhalten: "Traditionelle" Beschreibungen von Gentrifizierungs-Ursachen und -verläufen (Beispiel: Gentrifizierer folgen kreativen Pionieren) treffen auf heutige Entwicklungen, die ebenfalls mit Gentrifizierung assoziiert werden, oft nicht mehr (ausreichend) zu (Super-Gentrification, Blind-Investitionen in Immobilien als Kapitalanlage, Mietsteigerungen ohne Substanzveränderungen etc.).
Gentrifizierung ist kein einheitlich definiertes Phänomen (mehr) und muss daher multiperspektivisch betrachtet werden: Ursachen, Erscheinungsformen, Betroffenheiten und Bewertungen. Als Minimalkonsens bleibt nachweisbare Verdrängung – "Motor" sind die Wechselwirkungen aus steigender Wohnungsnachfrage durch vergleichsweise einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen und überdurchschnittlich steigende Miet- und Kaufpreise. Gentrifizierung bezieht sich dabei stets auf die Entwicklung einzelner Quartiere, was zwar in manchen Kernstädten mehr oder weniger flächendeckend der Fall sein kann, jedoch nicht bedeutet, dass ein insgesamt angespannter innerstädtischer Wohnungsmarkt automatisch mit Gentrifizierung gleichgesetzt werden kann.
Vor diesem Hintergrund stellt sich jedoch die Frage, wie entsprechende Befunde mit wissenschaftlichen Methoden erstellt werden können. Die Praxis zeigt, dass dies mit den bisher zur Verfügung stehenden Erhebungsinstrumenten – vor allem mit Monitoringsystemen – eben nicht ausreichend abgebildet werden kann: Verdrängung ist bislang empirisch kaum bzw. nur mit einem unverhältnismäßig hohen Aufwand greifbar (qualitative Wanderungsmotivforschung). Durch Datenanalysen allein lassen sich lediglich Annäherungen an Befundlagen herstellen, die jedoch immer eine Ex-post-Perspektive aufweisen: Entwicklungen, auf die man eigentlich Einfluss nehmen wollte, sind längst passiert...
Klarheit durch intensivere Kommunikation mit Vor-Ort-Akteuren!
Was bleibt also an dieser Stelle? Im Prinzip gibt es für Kommunen nur zwei Möglichkeiten: Entweder wird ein Tatbestand Gentrifizierung nicht "zugelassen", weil die "Beweisführung" unzureichend ist. Oder aber Kommunen setzen sich mit Entwicklungen, die als Gentrifizierung bezeichnet werden, proaktiv, präventiv, kommunikativ und kooperativ auch dann auseinander, wenn insbesondere quantitative Befundlagen nicht vorliegen. Dann würde es vor allem um eine Auseinandersetzung damit gehen, was vor Ort als Gentrifizierung thematisiert wird – oder anders: Der Auf- und Ausbau von Kommunikationsbeziehungen zur Quartiersebene muss intensiviert werden, beispielsweise durch die Einrichtung eines Quartiermanagements im weitesten Sinne ("Seismograf" vor Ort). Mindestens jedoch sollten geeignete Kommunikationsformate auf- und/oder ausgebaut werden, die einen Austausch von Politik, Verwaltungs- und Quartiersakteuren ermöglichen. Es geht darum, sowohl kommunale Positionen, Ziele und Handlungsmöglichkeiten – beispielsweise Wirkradien zur Verfügung stehender (Rechts-)Instrumente – als auch Wahrnehmungen, Vorstellungen und Erwartungen vor Ort zu vermitteln, gemeinsam zu erörtern und im Idealfall Koproduktionen der Quartiersentwicklung zu initiieren.
Handlungsmöglichkeiten nutzen und Rahmenbedingungen verbessern
Zurück in Rathäusern und Ämtern wird es auf Seiten von Politik und Verwaltung in erster Linie darum gehen, den Einsatz von (Rechts-) Instrumenten wie Soziale Erhaltungssatzung, Umwandlungs- und Zweckentfremdungsverbot zu prüfen und hier vor allem zu "schlagkräftigen" Kombinationen zu kommen (Soziale Erhaltungssatzung in Verbindung mit Umwandlungsverbot und kommunalem Vorkaufsrecht etc.). Gleichzeitig müssen Strategien vor allem des sozialen/preiswerten Wohnungsneubaus im Hinblick auf zu erwartende Wirkungen auf das "Gentrifizierungs-Problem" geprüft und weiterentwickelt werden.
Die kommunalen Handlungsmöglichkeiten sind natürlich auch beim Thema Gentrifizierung von übergeordneten Rahmenbedingungen abhängig. Hier muss konstatiert werden: Gentrifizierung kann bei Anwendung der derzeitigen Rechtsinstrumente zwar gebremst, jedoch nicht verhindert werden. Mit Blick auf die Ebenen von Bund und Ländern besteht daher also durchaus Handlungs- bzw. Modifikationsbedarf – neben einer "Instrumentenschärfung" insbesondere auch mit Blick auf Förderprogramme, Mietrecht, Baurecht, Bodenrecht, Steuerrecht.
Insgesamt ist festzuhalten: Kommunen sollten die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten tatsächlich ausschöpfen bzw. überprüfen, warum dies gegebenenfalls (noch) nicht der Fall ist. Dabei sollte davon ausgegangen werden, dass es sich beim Umgang mit Gentrifizierung um eine generelle, prozesshafte Auseinandersetzung unterschiedlicher Akteure mit ihren jeweiligen Interessen an unterschiedlichen Qualitäten von Stadt(teilen) handelt. Diskurse ersetzen keinesfalls Planung und Instrumenteneinsatz – sie sollten jedoch zentraler Teil des kommunalen Handelns mit Blick auf Gentrifizierung sein.
Weitere Informationen
- Dangschat, Jens S. (1988): Gentrification: der Wandel innenstadtnaher Wohnviertel,
- in: Friedrichs, Jürgen (Hrsg.): Soziologische Stadtforschung. Sonderheft 29 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Opladen, S. 272–292.
- Diller, Christian (2014): Zu Stand und Entwicklung der Gentrification-Forschung in Deutschland,
- in: ders. (Hrsg.): Gentrification in Berlin – Gesamtstädtische Betrachtungen – Fallstudien – Steuerungsmöglichkeiten, Aachen, S. 9–43.
- Holm, Andrej (2012): Gentrification,
- in: Eckardt, F. (Hrsg.): Handbuch Stadtsoziologie, Wiesbaden.
- Lees, Loretta, Tom Slater und Elvin Wyly (Hrsg.)(2008): Gentrification, New York. London.
- Lees, Loretta, Tom Slater und Elvin Wyly (Hrsg.)(2010): The Gentrification Reader, New York, London.
- Kennedy, Maureen, und Paul Leonard (2001): Dealing with Neighbourhood Change: A Primer on Gentrification and Policy Choices. A Discussion
- Paper Prepared für The Brookings Institution Center on Urban and Metropolitan Policy, O.O. (www.brookings.edu/urban).