Neue Baugebiete: Gewinn oder Verlust für die Gemeindekasse?
Neue Difu-Studie über die fiskalische Wirkungsanalyse neuer Wohn- und Gewerbegebiete
Problemdarstellung und politische Ziele Im Jahre 2005 betrug die Rate der Umwandlung von Freiflächen in Siedlungs- und Verkehrsflächen täglich rund 117 ha. In der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung wurde deshalb das Ziel formuliert, die Neuinanspruchnahme von Flächen für Siedlungs- und Verkehrszwecke auf maximal 30 Hektar pro Tag bis zum Jahr 2020 zu begrenzen. Um dieses äußerst ehrgeizige Ziel zu erreichen, sind viele Maßnahmen nötig, die bei Siedlungsflächen auf der Angebots- und Nachfrageseite wirken. Grundvoraussetzung ist, die Kenntnisse von Verwaltungen, Kommunalpolitikern und Bürgern über die Folgen der Flächeninanspruchnahme zu verbessern. Dazu gehört als wesentlicher Baustein, die Auswirkungen auf kommunale Haushalte zu verdeutlichen.
Die vom Difu im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz durchgeführte Studie zielt auf die Erstellung eines einfachen Rechenmodells, mit dem die kommunalfiskalischen Effekte der Umwandlung von Frei- in Wohnoder Gewerbeflächen abgeschätzt werden können. Die Untersuchung konzentriert sich dabei auf die Erträge und Kosten der einzelnen Gemeinden. Die Effekte auf andere öffentliche Haushalte (andere Gemeinden, Kreis, Land) bleiben berücksichtigt.
US-amerikanische Literatur Einleitend wird ausführlich auf die amerikanische Literatur eingegangen. Aufgrund anderer Rahmenbedingungen wird dort die Debatte um fiskalische Wirkungen der Umwidmung von Flächen unter Einbeziehung der Nutzung als Freifläche oder für landwirtschaftliche Zwecke schon seit längerem geführt. Mittlerweile liegen diverse Studien und Berechnungen vor, die in der politischen Auseinandersetzung eine erhebliche Rolle spielen. Sie werden bei allen größeren Bauvorhaben durchgeführt, Hauptauftraggeber sind Bauträger, Kommunen oder auch Umweltverbände. In einigen Bundesstaaten sind die Analysen vorgeschrieben. Sie gehören inzwischen zum Planungsstandard (mainstream planning practice) neuer größerer Vorhaben und sind Bestandteil der Planerausbildung. Durchgeführt werden sie meist von spezialisierten Consultingfirmen und Universitäten. Durch den sehr hohen Anteil der Grundsteuer an den Einnahmen der meisten Städte und Gemeinden der USA sind die Ergebnisse dieser Berechnungen für Deutschland nicht anwendbar, die Methoden sollten jedoch in die deutschen Überlegungen und Modelle einfließen.
Deutsche Literatur In Deutschland gibt es bereits zahlreiche Forschungen zur fiskalischen Wirkung von neuen Baugebieten. Diese begannen mit der Kostenanalyse einer Erschließung im Rahmen der städtebaulichen Kalkulation Anfang der 1970er-Jahre. Anschließend wurden Untersuchungen durchgeführt, die besonders die Einnahmenseite der Ausweisung neuer Baugebiete, vor allem im Zuge der Suburbanisierung, im Blick hatten. Erst in den letzten Jahren entstanden mehrere Forschungsarbeiten, die von einem „ganzheitlichen“ Ansatz ausgehen. Die Ergebnisse sind allerdings nicht eindeutig, was auch auf die unterschiedlichen methodischen Ansätze zurückzuführen sein kann. Zudem handeln die meisten Untersuchungen von Wohngebieten, Gewerbegebiete sind seltener dabei.
Modellbildung Für die Modellrechnungen wird eine Nettobaulandfläche von 10 000 m² (1 ha) angenommen, auf der 15 Eigenheime für insgesamt 60 Personen gebaut werden. Das Gewerbegebiet soll auf der gleichen Bruttofläche errichtet werden, da die Erschließungsanlagen aber weniger Fläche als bei den Wohngebieten beanspruchen, ist die verfügbare Nettofläche etwas größer. Darauf soll ein Verwaltungsgebäude für 50 Beschäftigte und ein Produktionsbetrieb mit 25 Beschäftigten errichtet werden. Im Einzelfall muss das Modell an die örtlichen Verhältnisse angepasst werden.
Gestützt durch Literatur und empirische Untersuchungen wurden für die Wohn- und Gewerbegebiete durchschnittliche einmalige Erschließungskosten abgeschätzt und in kalkulatorische Abschreibungen über die voraussichtliche Lebensdauer umgerechnet. Dies ermöglichte, die Abschreibungen zu den jährlichen Betriebskosten der Einrichtungen zu addieren, um die Bruttobelastung der Gemeinde durch die neuen Gebiete ausweisen zu können. Zuweisungen wurden berücksichtigt, soweit sie der Gemeinde gesetzlich in jedem Fall zustehen (z.B. für den Betrieb der Kindergärten). Fakultative Zuweisungen, insbesondere für den Bau von Gewerbegebieten oder die Ansiedlung von Betrieben, wurden nicht einbezogen.
Auf der Einnahmenseite wurden spezifische Bedingungen der alten und neuen Bundesländer bei der Berechnung der Grundsteuern und der Gemeindeanteile an der Einkommen- und Umsatzsteuer berücksichtigt. Exemplarisch waren zwei Gemeinden aus Nordrhein-Westfalen und Brandenburg einbezogen. Besonders betrachtet wurde der mögliche Ertrag der Gewerbesteuer. Dabei ging man von durchschnittlichen Werten aus, die in den jeweiligen Landkreisen pro Beschäftigtem (ohne öffentlicher Dienst) erzielt werden konnten.
Zusätzliche Einwohner und zusätzliche Steuereinnahmen werden in den Berechnungsmodus des jeweiligen kommunalen Finanzausgleichs einbezogen. Davon ausgenommen sind lediglich Konzessionsabgaben und kleine Kommunalsteuern. Eine höhere Einwohnerzahl führt demzufolge zu höheren Einnahmen aus den Schlüsselzuweisungen in beiden Gemeinden, da diese eine wesentliche Grundlage der Bedarfsberechnung für die Zuweisungen ist. In Nordrhein-Westfalen werden zusätzlich auch höhere Zahlen von Schülern und Beschäftigten berücksichtigt. Diesen Einnahmen erhöhenden Faktoren stehen „Abzüge“ bei den Steuereinnahmen gegenüber, die durch die Veränderung der Differenz zwischen Bedarf und Steuerkraft aufgrund einer Erhöhung der Steuerkraft entstehen. Die Differenz zwischen Bedarf und Steuerkraft wird in Nordrhein-Westfalen zu 90 Prozent und in Brandenburg zu 75 Prozent ausgeglichen, daher bleibt von den Zuwächsen bei den Steuereinnahmen wenig übrig. Zusätzlich bilden die Steuereinnahmen mit den Schlüsselzuweisungen die Berechnungsbasis für die Kreisumlage, weshalb die zusätzlichen Einnahmen nochmals sehr reduziert werden. Vor allem bei Gewerbegebieten wirkt sich dieser Mechanismus sehr nivellierend aus.
Ergebnisse der Modellrechnungen
- Betrachtet man das Ergebnis unter der Annahme, dass nur die innere Erschließung erstellt werden muss, dann wirft das zusätzliche Wohngebiet in beiden Gemeinden ein deutlich positives Ergebnis für die Gemeindefinanzen ab, wobei das Ergebnis in Brandenburg wegen der geringeren Abschöpfung der zusätzlichen Steuern und der höheren Beträge der Schlüsselzuweisungen im kommunalen Finanzausgleich besser ausfällt. Im Falle des Gewerbegebietes ist nur das Ergebnis der Brandenburger Gemeinde deutlich positiv, das Ergebnis der Gemeinde in Nordrhein-Westfalen ist eher als neutral einzustufen.
- Unter Einbeziehung der notwendigen äußeren Erschließung ist der Saldo der Erträge und Kosten nur bei den beiden zusätzlichen Wohngebieten positiv bis neutral, bei den Gewerbegebieten fällt er in beiden Gemeinden negativ aus.
- Die Einbeziehung der Kosten für Grundschulen und Kindergärten führt zu einer starken Verschlechterung des Saldos aus Erträgen und Kosten bei beiden Wohngebieten. Dieser Saldo ist so stark negativ, dass auch dort, wo genügend räumliche Kapazitäten vorhanden sein dürften, bereits durch die Abdeckung der Betriebskosten der beiden sozialen Einrichtungen ein negatives Ergebnis erzielt wird.
- Die Einbeziehung der Wirkung von Einkommenseffekten bringt kaum eine Veränderung, da die Wirkungen in der Summe – insbesondere in kleineren Städten – aufgrund des Abflusses der Kaufkraft in andere Gemeinden eher gering ausfallen.
- Die fiskalischen Wirkungen und ihre Bilanz hängen überwiegend von der Größe der Maßnahme und den daraus resultierenden Erschließungskosten sowie dem Verhältnis von Wachstum (Einwohner- und Unternehmenszuwachs) und gemeindeinterner Umverteilung (Wanderung, Betriebsverlagerung) ab. Die Modellrechnungen markierten die Eckwerte möglicher fiskalischer Rentabilität.
Es ist deutlich geworden, dass Maßnahmen, die mit der Notwendigkeit der Finanzierung innerer und äußerer Erschließung verbunden sind und nur mit innergemeindlichen Umzüglern (Einwohner, Betriebe) belegt werden, wenig bis keine fiskalische Rentabilität erwarten lassen.
Die Möglichkeit der Verhinderung von Abwanderung – die zwar Kosten produziert, aber Einnahmen zumindest stabilisieren kann – wurde nicht einbezogen. Dies ist zu diskutieren, da mit Ausweisung von Flächen unter diesen Bedingungen zwar fiskalisch ein schlechtes „Geschäft“ gemacht, andererseits aber die Attraktivität der Gemeinde als Wohn- und Arbeitsstandort erhalten wird.
Die Modellrechnungen verdeutlichen, wie schwer eine Modellierung fiskalischer Folgen von Baulandausweisungen ist, da eine Vielzahl von Parametern berücksichtigt werden muss. Die Ergebnisse wurden zudem unter für die Gemeinden recht günstigen Annahmen erzielt. Ein Saldo fiele noch wesentlich ungünstiger aus, wenn nicht von Zuzügen von außen in die Gemeinde ausgegangen, sondern die Besiedlung des neu ausgewiesenen Gebiets durch Umzüge innerhalb der Gemeinde erfolgen würden. Dann würden keine zusätzlichen Einwohner für höhere Steuereinnahmen und höhere Einnahmen aus dem Finanzausgleich sorgen.
In der Studie wird auch der Frage nachgegangen, welche finanziellen Folgen für eine Gemeinde bei der Nichtausweisung von Bauland entstehen könnten. Landwirtschaftliche Tätigkeiten bringen einer Gemeinde kaum Geld in die Kasse, belasten sie aber auch nicht sehr. Naturschutzmaßnahmen – wie die Ausweisung von Nationalparks u.ä. – können zu Einnahmesteigerungen in der Gemeinde durch Pflegemaßnahmen sowie die Einnahmen durch erhöhte Besucherzahlen führen, jedoch sind die Wirkungen auf die Gemeindekassen gering.
Schlüsse und Empfehlungen Die Studie macht deutlich, dass das Thema der kommunalfiskalischen Wirkungen von Flächenausweisungen von zentraler Bedeutung für die Kommunen ist, bislang noch nicht ausreichend untersucht wurde und vor allem bisher nicht ausreichend in der kommunalen Praxis berücksichtigt wird. Trotz der Tatsache, dass die kommunalfiskalische Analyse nur einen Ausschnitt aus der ökonomischen Analyse der Folgen von Flächenausweisung und Flächeninanspruchnahme darstellt, ist für eine Transparenz der Folgen weiterer Flächenumwidmung ihr breiter Einsatz zu fordern. Die Einbeziehung der fiskalischen Wirkungen ist dabei vor allem für die strategische Ausrichtung der Bau- und Flächenpolitik der Gemeinden und Regionen wünschenswert.
Außerhalb des Rechenmodells wurde geprüft, welche Alternativen zur Ausweisung an Bauland für die kommunalen Haushalte bestehen. Im Blick waren der Beitrag der Landwirtschaft, die Ausweisung von Naturschutzgebieten sowie stärkere touristische Nutzungen.
Um die Transparenz der fiskalischen Wirkungen alternativer Flächenausweisungen zu erhöhen, sollten zwei Wege beschritten werden:
- Einfache Rechenmodelle der fiskalischen Folgen sollten weiterentwickelt und den Gemeinden verfügbar gemacht werden. Dies könnten einfache Computerprogramme sein, die leicht auf die spezifischen örtlichen Gegebenheiten angepasst werden können.
- Wesentliche Voraussetzung für die Verbesserung der Qualität der Kalkulationsergebnisse ist die Verbesserung der Datenverfügbarkeit. Dazu ist es dringend notwendig, insbesondere die Daten für die Erschließungskosten systematisch aufzubereiten, um daraus aktuelle und nutzbare Kostenkennwerte zu entwickeln.
Die Modellrechnungen zeigen, welchen großen Einfluss die Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs auf das Ergebnis hat. Die relativ hohen zusätzlichen Zahlungen, welche Gemeinden bei Zuzug von Einwohnern erhalten, bilden einen ständigen finanziellen Anreiz, neue Wohngebiete auszuweisen. Es ist zu prüfen, wie dieser Anreiz gemindert werden kann.
Die Art und Zahl der Erschließungsmaßnahmen, die in die Erhebung einbezogen werden können, ist durch das Gesetz auf die innere Erschließung begrenzt. Zwar übernimmt bei größeren Bauvorhaben der Investor im Rahmen eines Erschließungsvertrags häufig auch den Bau weiterer Einrichtungen, der Betrieb dieser Einrichtungen bleibt aber Sache der Gemeinde. Eine Ausweitung der als Beiträge zu erhebenden bzw. abzuwälzenden Kosten scheint sinnvoll.
Im Gegensatz zu den USA wird die Diskussion um fiskalische Wirkungen bisher in Deutschland eher akademisch geführt. Solche fiskalischen Kalkulationen sind weder gesetzlich vorgeschrieben noch in der planerischen Praxis bislang üblich. Sie sollten aber auch in Deutschland Bestandteil der planerischen Praxis werden, was voraussetzt, dass eine entsprechende Ausbildung an den Universitäten erfolgt.
Weitere Informationen:
Dipl.-Volkswirt Michael Reidenbach Telefon: 030/39001-295 E-Mail: reidenbach [at] difu [dot] de (reidenbach[at]difu[dot]de)