Lokale Agenda 21 und Nachhaltige Kommunalentwicklung
Zehn Jahre nach Rio: Bilanz und Perspektiven
Zehn Jahre nach der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio 1992, auf der die Agenda 21 beschlossen wurde, sollte anlässlich der Weltkonferenz in Johannesburg 2002 (Rio + 10) Bilanz gezogen werden. Im Kapitel 28 der Agenda 21 wurden die Kommunen aufgefordert, Programme, Pläne, Maßnahmen und Projekte gleichzeitig umweltgerecht, sozial verträglich und ökonomisch vertretbar zu gestalten sowie ihre Handlungsvorschläge im Dialog mit ihrer Bevölkerung, der Privatwirtschaft und gesellschaftlichen Gruppen weiterzuentwickeln und umzusetzen. Diese Herausforderung haben viele Kommunen in Deutschland angenommen.
Im Rahmen des Projekts "Stand und Weiterentwicklung der Lokalen Agenda-Prozesse in Deutschland Rio + 10" wurden die Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse der Lokalen Agenda in Deutschland hinsichtlich ihres Beitrags zur nachhaltigen Entwicklung seit Rio 1992 dargestellt, der erreichte Stand qualitativ bewertet und Tendenzen aufgezeigt.
Das Vorhaben wurde im Rahmen des Umweltforschungsplans vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) über das Umweltbundesamt gefördert und in Kooperation mit dem ICLEI-Europasekretariat in Freiburg durchgeführt. Der Bericht ist in drei Teilbereiche gegliedert:
- Ausgangsbedingungen in Deutschland
- Kommunale Nachhaltigkeit eine zukunftsweisende Querschnittsaufgabe
- Kommunale Nachhaltigkeitsstrategien in ausgewählten Handlungsfeldern
Ein erstes Zwischenergebnis des Projekts mit der Analyse von zunächst fünf Handlungsfeldern wurde in Form eines Beitrags zum deutschen Vorbereitungsprozess auf den Weltgipfel über nachhaltige Entwicklung im November 2001 in der Reihe "Umweltpolitik" des BMU unter dem Titel "Kommunale Nachhaltigkeitspolitik und Lokale Agenda 21" veröffentlicht. Dieser Beitrag wurde für den Weltgipfel auch in englischer Fassung (Local sustainability Policy and Local Agenda 21. A contribution to the german preparatoy process towards the World Summit on Sustainable Developement in 2002) publiziert. Der Endbericht ist unter dem Titel "Lokale Agenda 21 und nachhaltige Entwicklung in deutschen Kommunen. 10 Jahre nach Rio: Bilanz und Perspektiven" im Dezember 2002 in der Reihe "Umweltpolitik" des BMU erschienen.
Bilanz der bisherigen Aktivitäten
Eine Bilanz der bisherigen Erfolge, aber auch der Hemmnisse, kann den kommunalen Aktivitäten auf dem Weg zur Nachhaltigkeit zu einer weiteren Dynamik verhelfen. Dies erscheint zehn Jahre nach Rio vor allem für diejenigen Kommunen von Bedeutung, die noch nicht in den Prozess eingetreten sind, in denen eine Stagnation wahrnehmbar ist oder die bereits ein Handlungs- bzw. Aktionsprogramm zur Lokalen Agenda erarbeitet haben und nach Wegen der Fortsetzung ihrer Bemühungen suchen. Von Bedeutung ist es daher, sowohl positive Aspekte der Lokalen Agenda darzustellen, als auch Perspektiven für die Weiterentwicklung und die Kontinuität des Prozesses aufzuzeigen. Im Zusammenhang mit der Agenda 21 muss jedoch immer wieder darauf hingewiesen werden, dass Ökologie zwar unzweifelhaft den wichtigsten Bestandteil der Nachhaltigkeit ausmacht, jedoch nicht identisch mit ihr ist. Ebenso im Fokus des Entwicklungsprozesses stehen soziale Gerechtigkeit, ökonomischer Wohlstand und globale Verantwortung, auch wenn diese im Gegensatz zu unseren natürlichen Lebensgrundlagen zumindest rein theoretisch beliebig vermehrbar wären.
Meinungsäußerungen über den aktuellen Stand der Lokalen Agenda 21 sind meist entweder voller Lob oder voller Tadel. Die Realität liegt wie so oft genau dazwischen: Jede Kommune weist unterschiedliche Rahmenbedingungen bezüglich ihrer Ausgangslage wie Größe, ortsspezifische Gegebenheiten, aktuelle Problemstellungen usw. auf. Dementsprechend variieren jeweils Maßnahmen und Erfolge sowie Hemmnisse und potenzielle Kooperationspartner. Sehr früh wurde erkannt, dass es daher für den Entwicklungsprozess der Lokalen Agenda 21 keinen allgemeingültigen Königsweg und kein Patentrezept gibt. Entsprechend der Vielfalt von Strukturen und spezifischen Gegebenheiten in den Kommunen ist auch die Herangehensweise und schließlich auch die Durchführung der Agenda-Prozesse unterschiedlich. Dies bezieht sich auf die Wahl der Kommunikationsformen und die Organisationsmodelle genauso wie auf die inhaltlichen Prioritäten und Projektschwerpunkte. Über 2000 Kommunen sind in Deutschland seit 1992 in einen Prozess zur Entwicklung und Umsetzung der Lokalen Agenda 21 eingetreten. Vielerorts liegen inzwischen Aktions- oder Handlungsprogramme vor. In einigen Kommunen scheinen jedoch Weiterentwicklung, Stabilität und Kontinuität der Prozesse sowie die umfassende Umsetzung der Programme in Frage gestellt. Die defizitäre Haushaltslage stellt dabei ein besonders schwerwiegendes Problem dar: Die Lokale Agenda 21 ist eine freiwillige kommunale Aufgabe. Daher besteht die Gefahr, dass es mangels finanzieller Ressourcen und anderer Prioritäten in der Erfüllung von Pflichtaufgaben zu einer Reduzierung oder gar zur vollständigen Einstellung der Konsultationsprozesse einschließlich der notwendigen Öffentlichkeitsarbeit, der Moderation und Durchführung von Partizipationsverfahren sowie der Bereitstellung des dazu erforderlichen Personals für die Aktivitäten kommen kann.
Befürchtungen, dass die Lokale Agenda lediglich neue "Debatierclubs" hervorbringen wird, können angesichts der Vielzahl von realisierten und laufenden Projekten nicht bestätigt werden. Dabei kann als besonders großer Erfolg gewertet werden, dass die Kommunen durch die Lokalen Agenda 21-Prozesse neue Kooperationspartner gewonnen haben. Vor allem haben bisher Bürgerinitiativen, Bildungseinrichtungen, Gewerbe / Industrie / Handwerk, Umweltverbände, Religionsgemeinschaften und Vereine ihre Bereitschaft zur aktiven Mitwirkung unter Beweis gestellt. Beteiligung und Kooperation sind jedoch nicht selbstverständlich. Neben dem Wunsch vieler Akteure nach einer "Anerkennungskultur" für ihr Engagement müssen Anreize geschaffen werden, damit sich die Bevölkerung, Privatwirtschaft und gesellschaftliche Gruppen aktiver an dem Entwicklungs- und Umsetzungsprozess beteiligen und gleichzeitig Kooperationen erleichtert werden.
Leitbilder der zukunftsbeständigen Kommunalentwicklung umfassen Anforderungen, die sowohl an Aktionsprogramme der Lokalen Agenda 21 als auch an einzelne kommunale Handlungsfelder gestellt werden. Neben Kooperationsprojekten mit externen Akteuren findet eine nachhaltige Entwicklung in vielen Aufgabenbereichen der Kommunalverwaltungen statt. Sie weisen einen unterschiedlichen Grad an Unabhängigkeit vom erfolgreichen Verlauf der Agenda-Prozesse vor Ort oder von der Einbindung möglichst vieler gesellschaftlicher Gruppen, von der Dauer der Konsultationsprozesse und Häufigkeit der Arbeitsgruppensitzungen auf. Eine genaue Trennung und Auflistung von Zielen, Maßnahmen und Erfolgen, die im Sinne der Nachhaltigkeit in den einzelnen Handlungsfeldern ausschließlich im Zusammenhang mit der Lokalen Agenda 21 erfolgen, sind daher kaum möglich.
Es gibt kaum ein kommunales Aufgabenfeld, dass keinen Einfluss auf die nachhaltige Entwicklung ausübt. Die Wirkungen sind in den unterschiedlichen Bereichen je nach Ausgangslage mehr oder weniger ausgeprägt. Eine Vielzahl von Aktivitäten zeugt davon, dass die Kommunen nicht untätig waren und Fortschritte im Hinblick auf mehr Nachhaltigkeit erzielt werden konnten.
Im Rahmen des Vorhabens hat das Deutsche Institut für Urbanistik unter anderem zehn kommunale Handlungsfelder analysiert. Sie wurden jeweils im Hinblick auf Ziele und Indikatoren nachhaltiger Entwicklung, auf Maßnahmen und Erfolge sowie auf Hemmnisse und Perspektiven untersucht. Die Ergebnisse stimmen positiv, decken aber auch Handlungsbedarf und damit weitere Schritte für den Nachhaltigkeitsprozess auf kommunaler Ebene auf. Bei der Auswahl und Analyse kam der Ausrichtung auf die Schwerpunkte Ökologie, Ökonomie, Soziales und Entwicklungspolitik große Bedeutung zu. Folgende Handlungsfelder wurden untersucht:
- Kommunale Entwicklungszusammenarbeit,
- Klimaschutz/Energie,
- Flächeninanspruchnahme,
- Naturschutz,
- Nachhaltige Wasserwirtschaft,
- Nachhaltige Mobilität,
- Nachhaltiger Konsum,
- Programme und Projekte von und für Frauen,
- Beteiligung von Kindern und Jugendlichen,
- Beteiligung der Wirtschaft.
Nachhaltigkeitsstrategie und Nachhaltigkeitsindikatoren
Die Bundesregierung hat am 17.04.2002 eine nationale Strategie für eine Nachhaltige Entwicklung als deutschen Beitrag zum Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung im August/September 2002 in Johannesburg beschlossen. Die Ziele und Indikatoren sind Bausteine eines Managementkonzepts und dienen als Orientierungswerte für politische und gesellschaftliche Akteure. Zentrales Kapitel der Strategie ist das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung. Die Strategie umfasst darüber hinaus mehrere prioritäre Handlungsfelder, für die Grundsätze einer nachhaltigen Entwicklung konkretisiert werden. Die Erarbeitung der Strategie beruht auf einem breit angelegten Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern und den gesellschaftlichen Gruppen sowie direkten Konsultationen auch mit den Kommunen. Für eine erfolgreiche Umsetzung der Strategie ist von wesentlicher Bedeutung, dass immer mehr Kommunen ihre Aktivitäten und Politik anhand der Nachhaltigkeitsprinzipien überprüfen und Aktionspläne für lokale Nachhaltigkeit aufstellen.
Nur wenige Kommunen (wie z.B. die Stadt Wuppertal) haben bisher Indikatoren oder Zielformulierungen beschlossen, mit deren Hilfe die Erfolge im Hinblick auf die Zukunftsbeständigkeit "messbar" gemacht werden könnten. Der Entwicklung von Indikatorensystemen wurde in einigen Kommunen und Bundesländern große Aufmerksamkeit gewidmet. Inzwischen liegen verschiedene Vorschläge für Kataloge von Nachhaltigkeitsindikatoren vor (z.B. von der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft FEST e.V. oder vom Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung im Rahmen des ExWoSt Forschungsfeldes "Städte der Zukunft"). Es sind jedoch entsprechende Zeiträume nötig, um die Erfolge messen und darstellen zu können (Nachhaltigkeitscontrolling/-monitoring).
Globale Verantwortung
Die Mehrzahl der Kommunen betrachtet es als ein Ziel, einen Beitrag zur globalen Zukunftsbeständigkeit zu leisten. Die Maßnahmen zur Umsetzung dieses Ziels bestehen dabei vor allem in Aktivitäten im Bereich Klimaschutz, der ein wesentlicher Schwerpunkt Lokaler Agenda-Prozesse ist. Dies könnte einerseits darauf zurückzuführen sein, dass im Gegensatz zu anderen Themenfeldern für den Klimaschutz konkrete von der Bundesregierung formulierte Ziele, unterstützende gesetzliche Regelungen und Förderprogramme sowie umfassende Handlungsanleitungen existieren. Andererseits ist das Spektrum der Handlungsmöglichkeiten für die gleichzeitige Berücksichtigung von ökologischen, ökonomischen, sozialen und globalen Aspekten im Klimaschutz sowohl bei der öffentlichen Hand, als auch bei Betrieben und öffentlichen Haushalten breit gefächert. So konnten bereits durch Maßnahmen der Energieeinsparung und durch die vermehrte Nutzung regenerativer Energien beträchtliche Erfolge erzielt werden. Die Lokale Agenda hat hier insbesondere im Hinblick auf die Sensibilisierung der Bevölkerung und der Privatwirtschaft einen wesentlichen Beitrag geleistet.
Neben dem Klimaschutz spielen weitere globale Aspekte fast nur in größeren Städten eine Rolle. Dort wird z.B. in Arbeitskreisen oder Fachforen unter Titeln wie "Eine Welt" oder "Entwicklungszusammenarbeit" inhaltlich diskutiert. Dabei decken die Aktivitäten ein breites Spektrum ab und reichen vom Erfahrungs- und Informationsaustausch über unterschiedliche Maßnahmen in den Bereichen Gesundheit und Soziales, Kultur, Umwelt und Wirtschaft bis zu Bildungsmaßnahmen inner- und außerhalb der Kommunalverwaltungen. Zahlreiche Aktivitäten werden im Rahmen von Städtepartnerschaften oder gemeinsam mit Eine-Welt-Initiativen organisiert. In vielen Fällen wird es auf die Lokale Agenda 21 zurückgeführt, dass die kommunale Entwicklungszusammenarbeit Eingang in den kommunalen Alltag gefunden hat.
Perspektiven
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Beispiele für Nachhaltigkeitsindikatoren im Handlungsfeld "Kommunale Entwicklungszusammenarbeit" |
Die Aktivitäten im Sinne einer Nachhaltigen Entwicklung sollen zu einer Zeit erfolgen, in der die Kommunen unter großen Problemen leiden: Das Geld ist knapp. Es fehlt an Personal, und immer weniger Mittel insbesondere für freiwillige Aufgaben wie der Lokalen Agenda stehen zur Verfügung. Wird der Weg in eine nachhaltige Zukunft jedoch heute nicht beschritten, so werden sich die notwendigen Kosten potenzieren und den nachfolgenden Generationen aufgebürdet.
Daher ist nicht nur eine schrittweise Internalisierung externer Effekte erforderlich, wie dies beispielsweise durch das Umweltcontrolling angestrebt wird, sondern vor allem ein zielgerichteter Einsatz von Mitteln für Programme, Projekte und Maßnahmen, die den Prinzipien der Nachhaltigkeit entsprechen. Daher müssten dann konsequenterweise auch in den kommunalen Räten Beschlussvorlagen im Hinblick auf Nachhaltigkeit überprüft und ihre ökologischen, ökonomischen, globalen und sozialen Wirkungen dargestellt werden.
Die Agenda 21 ist ein anspruchsvolles Programm mit Zielen und Maßnahmen, die zwar in vielen Bereichen für die jeweiligen nationalen, regionalen oder kommunalen Rahmenbedingungen konkretisiert oder auf den Weg gebracht wurden, aber längst noch nicht umgesetzt sind. Zehn Jahre nach Rio muss entgegen mancher Hoffnungen und Erwartungen konstatiert werden: Nachhaltige Entwicklung scheint ein langer und schwieriger Weg mit vielen kleinen Schritten zu sein. Von einer Bilanz sollte daher auch auf allen Ebenen gefordert werden, dass eine möglichst exakte und ehrliche Analyse der Hemmnisse auf dem Weg zur nachhaltigen Entwicklung erfolgt. Denn erst dann können konstruktive Lösungen gefunden und Hürden aus dem Weg geräumt werden.
Weitere Informationen:
Dipl.-Ing. Cornelia Rösler
Telefon: 0221/340308-18
E-Mail: roesler [at] difu [dot] de (roesler[at]difu[dot]de)
Bestellung: Die Veröffentlichung "Lokale Agenda 21 und nachhaltige Entwicklung in deutschen Kommunen. 10 Jahre nach Rio: Bilanz und Perspektiven" kann im Internet unter folgender Adresse heruntergeladen werden: www.bmu.de/nachhaltige-entwicklung (rechte Navigation, "downloads")
Außerdem kann die Publikation ab Juni 2003 beim Bundesumweltministerium bestellt werden unter der Telefonnummer: 01888-3053355 Telefax: 01888-3053356 oder per E-Mail: service [at] bmu [dot] bund [dot] de (service[at]bmu[dot]bund[dot]de)