Bild zum Standpunkt Berichteheft 2_2025
Standpunkt

Herausforderungen im ÖPNV – was bringt die neue Legislaturperiode?

Errungenschaften sichern, den Koalitionsvertrag umsetzen – und zugleich weiterdenken: Um den ÖPNV zukunftsfähig zu machen, braucht es Angebotserhalt, Ausbau und tragfähige Finanzierungslösungen.

Einige der größten Städte Deutschlands mussten im letzten Jahr ihren ÖPNV zurückbauen, und in vielen Städten stagniert die Weiterentwicklung des ÖPNV-Angebots – das zeigte jüngst eine Greenpeace-Vergleichsstudie. Aktuell sind die Handlungsspielräume der Kommunen in Bezug auf den ÖPNV aufgrund der gestiegenen Aufgabenlasten der letzten Jahre stark begrenzt: Mit den vorhandenen Einnahmen sind die Aufgaben nicht zu bewältigen. Die gestiegenen Energie- und Personalkosten verschärfen die Lage zusätzlich. Dabei ist ein attraktiver ÖPNV unverzichtbar: als Antwort auf die Herausforderungen einer zukunftsorientierten Mobilität insbesondere in den Ballungsräumen, aus Sicht des notwendigen Klimaschutzes sowie zur Sicherung sozialer Teilhabe in städtischen und ländlichen Räumen. 

Der ÖPNV ist ein zentraler Pfeiler der Mobilität in Deutschland. Elf Prozent aller Wege in Deutschland werden mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt. Noch häufiger wird der ÖPNV in Metropolen bzw. Großstädten genutzt: Etwa ein Viertel aller Wege in Berlin und in Nürnberg werden mit dem ÖPNV zurückgelegt. Der temporäre Fahrgastrückgang während der Corona-Pandemie hat sich, dies zeigen die neusten Ergebnisse der Studie „Mobilität in Deutschland“ (MiD), mittlerweile wieder normalisiert. Die ökologische und soziale Relevanz des ÖPNV ist in Praxis und Forschung unbestritten. Damit dieser gesellschaftliche Nutzen erhalten bleibt, müssen Bund, Länder und Kommunen es als zentrale gemeinsame Aufgabe ansehen, das ÖPNV-Angebot auszubauen und zu modernisieren. Besonders in suburbanen und ländlichen Räumen gilt es, zunächst ein flächendeckendes, attraktives Angebot – inklusive einheitlicher Bedienstandards – zu schaffen. 

Errungenschaften wie das Deutschlandticket bieten eine wichtige Grundlage zur Förderung des ÖPNV. Mit aktuell 13,5 Mio. Abonnements ermöglicht es eine relativ kostengünstige, tariflich vereinfachte ÖPNV-Nutzung. Zudem entlastet das Ticket insbesondere Menschen in Ballungsräumen angesichts gestiegener Lebenshaltungskosten. Durch den relativ günstigen Preis senkt es die Einstiegshürden und sorgt für eine regelmäßige und häufige Nutzung. Umso wichtiger ist die im Koalitionsvertrag vorgesehene Verstetigung des Deutschlandtickets – mitsamt verlässlicher Finanzierungsstrukturen. Dies schafft Planungssicherheit für kommunale Aufgabenträger, Arbeitgeber (z.B. beim Jobticket) und Fahrgäste gleichermaßen. 

Dafür braucht es eine faire Finanzierung: Der Ticketpreis muss für Fahrgäste bezahlbar bleiben, um weitere ÖPNV-Nutzungshemmnisse zu vermeiden. In der politischen Debatte sollte stärker die gesamtgesellschaftliche Kosteneffizienz des ÖPNV im Vergleich zum Pkw berücksichtigt werden: Die hohen – direkten sowie externen – Kosten des Autoverkehrs wurden immer wieder in Studien belegt. Im Vergleich dazu liefert ein kostengünstiger ÖPNV auch bei einem hohen Zuschussbedarf insgesamt einen positiven Beitrag zu bezahlbarer Mobilität für alle. Zudem stärkt der ÖPNV die Wirtschaft, indem er eine dreimal so hohe Wertschöpfung im Vergleich zu den verursachten Kosten generiert, wie jüngst eine MCube-Studie verdeutlichte. Neben Effekten innerhalb der ÖPNV-Branche wirkt er dabei positiv auf Bereiche wie Tourismus, Einzelhandel und Immobilienwirtschaft und unterstützt durch die Beförderung von Pendler:innen die Erwerbsarbeit insgesamt. 

Der Ausbau des On-Demand-Verkehrs und seiner regulativen Integration in den ÖPNV stellen eine weitere ÖPNV-Errungenschaft der letzten Jahre dar. Als Basismobilität in ländlichen Räumen, als Ergänzung des Linienverkehrs zu Randzeiten und in peripheren Räumen sowie als umstiegsfreie Verbindung von A nach B haben viele Kommunen durch On-Demand-Angebote die Erreichbarkeit und den Komfort des ÖPNV gestärkt. Die Einführung und Ausweitung solcher Angebote wurde maßgeblich durch Bundes- und insbesondere Landesförderprogramme ermöglicht. Mit dem Auslaufen mehrerer Förderprogramme mussten zuletzt jedoch zahlreiche On-Demand-Angebote eingestellt werden. 

Dabei ist es notwendig, gerade auch im ländlichen Raum eine bedürfnisgerechte öffentliche Mobilität von A nach B zu ermöglichen und eine Grundver- sorgung zu Schwachverkehrs- und auch Nachtzeiten zu bieten. On-Demand-Verkehr kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, insbesondere für Menschen, die sich ohne Privat-Pkw fortbewegen
wollen oder müssen. Dazu zählen rund zehn Prozent der Haushalte im dörflichen Raum, die kein Auto haben, ebenso wie die 14 Prozent der Bevölkerung in Deutschland mit mobilitätsrelevanten gesundheitlichen Einschränkungen. Diese Gruppen sind in besonderem Maße auf Pkw-Mitfahrten angewiesen – und dürften teils angesichts des demographischen Wandels weiter wachsen.

In der laufenden Legislaturperiode gilt es daher, sich der Rolle des ÖPNV für die Daseinsvorsorge und gleichwertige Lebensverhältnisse – insbesondere in städtischen und verstärkt in ländlichen Gebieten – neu bewusst zu werden und ihn langfristig und bedarfsgerecht auszugestalten. Bundesweite Mindestbedienstandards können hierfür zielführend sein.

Ein zukunftsfähiger ÖPNV muss weit über das bisher Erreichte – und den beschlossenen Koalitionsvertrag – hinausgehen: Zusätzlich zum bestehenden Deutschlandticket gilt es, bezahlbare Mobilität für alle gezielt zu stärken – auch
im ÖPNV. Familien würden von kostengünstigen (Familien-)Tariflösungen im Rahmen des Deutschlandtickets profitieren. Menschen mit sehr geringem Einkommen wiederum könnten durch ein deutschlandweit verfügbares und idealerweise einheitlich gestaltetes Sozialticket erheblich entlastet werden – etwa in Form eines stark ermäßigten Deutschlandtickets.

Für die Stabilisierung und den Ausbau des ÖPNV-Angebots sind langfristige Finanzierungslösungen nötig. Dafür ist es wichtig, alle verfügbaren finanziellen Ressourcen zu aktivieren – auch auf kommunaler Ebene. Im Sinne der Daseinsvorsorge sollten Kommunen befähigt werden, sich selbst neue lokale Finanzierungsquellen zu erschließen. Voraussetzung dafür ist eine landesrechtliche Grundlage für eine so genannte Drittnutzendenfinanzierung, wie sie etwa der Mobilitätspass im Landesmobilitätsgesetz Baden-Württembergs vorsieht. Dieser ermöglicht zusätzliche Einnah-
men über Abgaben von Pkw-Halter:innen oder der Bevölkerung in den Kommunen. Darüber hinaus ist denkbar, durch entsprechende Landesgesetzgebungen alle Straßennutzenden sowie Gewerbetreibende an entsprechenden Abgaben
zu beteiligen. In anderen Ländern werden ähnliche Lösungen bereits praktiziert. So wurde der ÖPNV im Großraum Paris im Jahr 2022 knapp zur Hälfte durch Arbeitgeberbeiträge finanziert.

Angesichts der angespannten Haushaltslage vieler Kommunen, die sich voraussichtlich nur langfristig durch eigene Mehreinnahmen verändern lässt, ist ein stärkeres finanzielles Engagement von Bund und Ländern unabdingbar. Der im Koalitionsvertrag angekündigte „Modernisierungspakt“ greift ein Vorhaben auf, das bereits von der vorherigen Bundesregierung formuliert, aber nicht umgesetzt wurde. Jetzt muss der Bund Führung zeigen und gemeinsam mit den Ländern ein Zukunftsszenario für einen attraktiven ÖPNV entwickeln – und zugleich eine faire Lastenverteilung
vereinbaren.

Die Herausforderungen sind groß. Umso wichtiger ist es, dass Bund, Länder und Kommunen in der laufenden Legislaturperiode gemeinsam handeln – und die Finanzierung des ÖPNV nachhaltig sichern.