
Gemeinsam gegen die stille Gefahr: Hitzeschutz – Aufgabe für uns alle
Der Klimawandel zeigt sich zunehmend in Form häufiger, intensiver und langanhaltender Hitzewellen. Lag die Zahl heißer Tage im Zeitraum 1961 bis 1990 noch bei 4,2, so verdoppelte sich der Durchschnittswert im darauffolgenden Zeitraum (1991 bis 2020) auf 8,9 Hitzetage pro Jahr. Laut meteorologischer Definition gilt ein Tag als Hitzetag, wenn die Tageshöchsttemperatur mindestens 30°C erreicht oder überschreitet. Und auch die Zahl der Tropennächte mit mehr als 20°C nahm in den letzten Jahren vielerorts zu. Diese Auswirkungen des Klimawandels stellen ein wachsendes Gesundheitsrisiko dar – insbesondere in stark versiegelten und dicht bebauten urbanen Räumen, in denen sich der „Wärmeinseleffekt“ sehr drastisch auswirkt. Besonders vulnerabel gegenüber diesen Extremwetterereignissen sind ältere Menschen, Kleinkinder, chronisch Erkrankte sowie sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen.
Nach Schätzungen des Umweltbundesamts sind in den letzten Jahren mehrere Tausend hitzebedingte Todesfälle zu verzeichnen. Zudem werden die wirtschaftlichen Auswirkungen von Hitzeperioden bisher wenig beachtet: Sie können die Produktivität von Menschen verringern, den Energieverbrauch und damit die Energiekosten erhöhen (z.B. durch den Kühlbedarf der Produkte) und laut DIW sogar Infrastrukturen schädigen. Doch trotz dieser Erfahrungen scheint die Hitze viele deutsche Städte jedes Jahr unvorbereitet zu treffen und die Gefahr, die von Hitze ausgeht, im kollektiven Bewusstsein kaum präsent. Diese Entwicklungen weisen eindringlich auf künftige Aufgaben hin: Kommunen stehen als zentrale Akteure der Daseinsvorsorge in der Verantwortung, Schutz- und Präventionsstrukturen zu etablieren – auch wenn die gesundheitliche Hitzevorsorge (noch) keine kommunale Pflichtaufgabe im engeren Sinne ist.
Dabei stehen den Kommunen zahlreiche etablierte Wissensressourcen zur Verfügung. Die gesundheitsbezogene Hitzevorsorge ist als Teil der Klimaanpassung kein Neuland. In Deutschland existieren über 40 kommunale Hitzeaktionspläne (HAPs), mit denen Städte und Regionen sich vorbereiten und unterschiedliche Maßnahmen koordinieren. Und internationale Vorbilder wie Frankreich zeigen, wie wirkungsvoll standardisierte Abläufe und strukturierte Kommunikation wirken können. Besonders in den Bereichen Risiko- und Gesundheitskommunikation sowie durch die Sensibilisierung von Bevölkerungsgruppen, sozialen Einrichtungen und Multiplikatoren lassen sich mit geringem Aufwand große Wirkungen erzielen – vorausgesetzt, die Maßnahmen werden konsequent auf den spezifischen Bedarf vulnerabler Gruppen ausgerichtet.
Gleichzeitig zeigt sich in Kommunen eine große Diskrepanz zwischen identifizierten Handlungsbedarf und tatsächlichem Umsetzungsstand. Diese Umsetzungslücke resultiert aus verschiedenen Faktoren: Zum einen bedarf es für freiwillige Maßnahmen eines starken politischen Willens sowie einer hohen intrinsischen Motivation bei den beteiligten Akteuren innerhalb der Kommunalverwaltung. Zum anderen sind externe Partner – etwa Wohlfahrtsverbände, Pflegeeinrichtungen oder zivilgesellschaftliche Initiativen – entscheidend für den Zugang zu besonders gefährdeten Zielgruppen. Lange konzentrierte sich die öffentliche Debatte in Deutschland vorrangig auf baulichtechnische Maßnahmen der Klimaanpassung. Diese Maßnahmen zum Ausbau von Grün- und Wasserflächen in einer Stadt wie zum Beispiel Schaffung und Sicherung von Grünflächen, Gründächern und -fassaden, Pflanzen von Straßenbäumen, Entsiegeln von betonierten Flächen und Verschattung von Plätzen sind zwar essenziell für den langfristigen und nachhaltigen Umbau der Städte. Ihre Planung und Umsetzung ist aber oft langwierig, kostenintensiv und komplex. Eine einseitige Fokussierung auf diese Maßnahmen kann entmutigend wirken – gerade für kleinere Kommunen mit begrenzten Ressourcen. Umso wichtiger sind daher niedrigschwellige, kommunikative und sensibilisierende Maßnahmen, wie sie Frankreich bereits seit über 20 Jahren erfolgreich praktiziert.
Genau hier leisten kommunale Hitzeaktionspläne (HAPs) gute Dienste: Sie ermöglichen eine strukturierte Koordination, bündeln vorhandene Kompetenzen und adressieren vorrangig kurzfristige, verhaltenspräventive Maßnahmen. Sie sensibilisieren alle Beteiligten für das Hitzethema und die Gefahren, analysieren Risiken und Betroffenheiten, bauen effektive Unterstützungsstrukturen auf und verbessern die Planung durch passgenaue Maßnahmen zum Hitzeschutz. Neben der Verbreitung von Informationen und Warnsystemen wie dem des Deutschen Wetterdienstes (DWD) spielen Ablauf- und Notfallpläne wie kommunale Meldeketten eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung und dem (Gesundheits-)Schutz der Bevölkerung. Die Umsetzung langfristiger, verhältnispräventiver Ansätze – etwa durch hitzeresilientes Planen und Bauen – verbleibt im Zuständigkeitsbereich übergeordneter Klimaanpassungsstrategien und ressortübergreifender Planung in den Kommunen.
Eine effektive gesundheitliche Hitzevorsorge erfordert ein Zusammendenken beider Dimensionen – der strukturellen (Verhältnisprävention) und der individuellen (Verhaltensprävention). Diese duale Strategie bedeutet konkret: Städtebauliche Maßnahmen wie Entsiegelung, Begrünung oder die Schaffung kühler öffentlicher Räume müssen vorangetrieben werden. Notwendig sind aber auch kurzfristig wirksame Formate der Gesundheitsaufklärung, der Frühwarnung und direkten Ansprache gefährdeter Bevölkerungsgruppen wie Hitzehotlines, Nachbarschaftsnetzwerke oder Hitzelotsen.
Frankreich gilt seit dem Hitzesommer 2003 als Vorbild, denn Hitze wird hier auch als soziales Risiko verstanden. Dort gibt es strukturierte Meldeketten, die verpflichtende Maßnahmen an die Warnstufen des nationalen Wetterdienstes koppeln. Damals starben in Frankreich rund 15.000 Menschen an den Folgen der Hitze. Die zwei Faktoren „Ignoranz und Isolation“ haben die Hitzeauswirkungen so verheerend gemacht: Ignoranz gegenüber den Gefahren von Hitze und Isolation von vulnerablen Gruppen. Die Hitzetoten wurden in Frankreich als eine soziale Katastrophe angesehen, als ein gemeinschaftliches Versagen. Seit Einführung des nationalen Hitzeplans 2004 gilt von Juni bis Mitte September ein mehrstufiges Warnsystem – Feuerwehren und Krankenhäuser sind nun in Hitzeperioden auf mehr Einsätze und Patient:innen vorbereitet.
Gleichwohl sind viele dieser Ansätze nicht ohne Weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragbar – insbesondere aufgrund der föderalen Struktur und Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Dennoch lassen sich aus den französischen Erfahrungen wertvolle Impulse für die Ausgestaltung kommunaler Strategien in Deutschland ableiten, wie sie etwa in der Difu-Publikation „Hitzeaktionspläne in der kommunalen Praxis“ in Form konkreter Handlungsempfehlungen nachzulesen sind.
Die gute Nachricht: Viele Kommunen haben diesen Weg bereits eingeschlagen. Erste Frontrunner agieren vorbildlich und entwickeln kontinuierlich praxisorientierte Lösungen. Städte wie Karlsruhe, Düsseldorf, Dresden, Duisburg, Mannheim oder Köln zeigten in den letzten Jahren, wie Hitzevorsorge und wirkungsvolle Maßnahmen durch Zusammenarbeit der Bereiche Umwelt, Gesundheit, Soziales, Stadtplanung, Grünflächen und Klimaanpassung umgesetzt werden können. Das Feld der gesundheitlichen Hitzevorsorge ist in Bewegung – dynamisch, lernbereit und zunehmend vernetzt. Doch die Herausforderung ist zu groß, um allein durch die Kommunalverwaltungen bewältigt zu werden. Es braucht eine breitere Verankerung im gesellschaftlichen Alltag, in Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft. Gesundheitliche Hitzevorsorge ist nicht nur Aufgabe der öffentlichen Hand – sie erfordert Solidarität, geteilte Verantwortung und ein neues Verständnis von Fürsorge in Zeiten der Klimakrise. Der Schutz vor Hitze beginnt in der Nachbarschaft, im Quartier, in der persönlichen Ansprache – und er kann nur dann gelingen, wenn alle ihren Beitrag leisten.
Vorabveröffentlichung aus dem Difu-Magazin Berichte 3/2025