Digitale Daseinsvorsorge ist eine Gemeinschaftsaufgabe
Bund und Länder haben in den vergangenen Jahren verschiedene Förderprogramme aufgelegt, um die Digitalisierung von Politik, Verwaltung und öffentlicher Wirtschaft auf allen föderalen Ebenen voranzutreiben. Diese Programme sollen Anreize geben und durch die Gewährung finanzieller Zuschüsse dabei helfen, mögliche Unsicherheiten auf Seiten der Geförderten abzubauen. Zudem sollen sie verschiedene Maßnahmen modellhaft erproben. Kommunen und ihre Dienstleister der Daseinsvorsorge sind dabei wichtige Adressaten.
Die Förderprogramme entfalten vor allem kurz- und mittelfristige Wirkungen. Aufgrund ihrer zeitlichen Befristung ermöglichen sie jedoch meist weder eine flächendeckende Skalierung digitaler Lösungen noch eine fiskalische Verstetigung der Finanzierung. Dies betrifft letztlich alle Kommunen, unabhängig davon, ob sie Fördermittel erhalten oder nicht. Damit stellt sich die Frage nach der Verantwortung und danach, wer eigentlich auf welche Weise sicherstellen kann, dass erfolgreiche digitale Lösungen in der Breite übertragen und angenommen werden. In diesem Kontext steht auch die stärker werdende Fachdebatte über eine „digitale Daseinsvorsorge“. Neben der Frage, was digitale Daseinsvorsorge umfasst, geht es insbesondere auch darum, inwieweit der Staat hier eine Gewährleistungspflicht in Bezug auf eine digitale Grundversorgung hat, welche Leistungen damit verbunden sind und welche Rechts- sowie Finanzierungssicherheiten notwendig sind.
Daseinsvorsorge orientiert sich an den Grundbedürfnissen und Belangen der Bevölkerung. Da sich Versorgungsbedürfnisse im Laufe der Zeit und abhängig vom Lebensstandard ändern, sind auch Leistungen der Daseinsvorsorge einem Wandel unterworfen. Zudem verändern sich auch technologische Möglichkeiten, die hinter diesen Leistungen stehen. Dies zeigt sich besonders bei der Digitalisierung, die heute bei der Bestimmung des Lebensstandards eine zentrale Rolle spielt. Sie hat enormen Einfluss auf verschiedene Lebensbereiche der Bevölkerung und ist zugleich ein maßgeblicher Treiber gesellschaftlicher Entwicklung.
Digitale Daseinsvorsorge betrifft zwei unterschiedliche Bereiche: Zum einen die Digitalisierung im Sinne einer Optimierung und Effizienzsteigerung „klassischer“ Bestandsaufgaben, zum anderen jene neuen Daseinsvorsorgeaufgaben, die allein aus der Digitalisierung erwachsen. Mit Blick auf die vorhandenen Daseinsvorsorgeleistungen lassen sich bereits heute vielfältige Aktivitäten der Kommunen feststellen. So erfolgen beispielsweise die Steuerung und das Monitoring von Netzen und Anlagen der technischen Infrastrukturen zunehmend digital. Mittels Sensorik lassen sich kritische Versorgungslagen in Echtzeit erkennen, wodurch die Resilienz der Systeme erhöht wird. Stark an Bedeutung gewonnen haben auch Plattformangebote, etwa zur nachfrageorientierten Mobilitätsbereitstellung. Neu hinzu kommen die in den vergangenen Jahren entstandenen oder in Entwicklung befindlichen Infrastrukturen zur Datengewinnung, -übertragung, -speicherung und -bearbeitung. Hierzu gehören Sensoren, Datenübertragungsnetze, Rechenzentren und Datenplattformen. Die generierten und gesammelten Daten sind ein enormer Schatz, der nicht nur Grundlage für alle kommunalen Leistungen ist, sondern im Kontext der Datenbereitstellung auch von großer Bedeutung für die Bürger*innen ist. Smart-City-Apps oder digitale Zwillinge schaffen Informationsangebote, um statische oder dynamische Daten der Stadt interaktiv darzustellen, und Datenportale erlauben den Zugriff auf vorhandene Datensätze, einschließlich deren visualisierter Darstellung. All dies ist Ausdruck des Rechts auf digitale Teilhabe.
Für die Realisierung einer flächendeckenden digitalen Daseinsvorsorge bedarf es jedoch noch einer Reihe von Klärungen:
Kommunen sollten für sich definieren, was sie als digitale Daseinsvorsorge ansehen. Sie sollten wissen, was dies für vorhandene Leistungsbereiche bedeutet und wo eventuell neue Strukturen nötig sind. Kommunale Datenplattformen werden künftig die Basisinfrastruktur der digitalen Stadt sein.
Es geht um die Integration von Daten aus verschiedenen Quellen (Fachverfahren, GIS, Sensorik etc.) bzw. die Anbindung an bereits vorhandene Datenplattformen. Dies betrifft auch die Einbindung von Daten verschiedener Kommunen in den interkommunalen Datenaustausch. Dateninfrastrukturen bilden fortan eine weitere Säule der kommunalen Daseinsvorsorge, vergleichbar mit Netzen und Anlagen der Wasser- und Energieversorgung. Organisatorisch lassen sich diese Infrastrukturen analog zu anderen Bereichen über die Stadtverwaltung, städtische Gesellschaften, Kooperationen mit privaten Partnern oder interkommunale Kooperationen betreiben.
Für die kommunalen Unternehmen bedeutet digitale Daseinsvorsorge eine notwendige Weiterentwicklung ihrer Geschäftsmodelle. Digitale Technologien, die Nutzung von Daten und Algorithmen sowie KI-gestützte Automatisierung werden künftig eine noch stärkere Bedeutung für das Angebot und die Leistungserstellung – und damit auch für die Einnahmegenerierung – haben als dies heute bereits der Fall ist. Im Zentrum stehen datenbasierte und plattformbasierte Geschäftsmodelle. Es wird darauf ankommen, dass der Mix an digitalen Angeboten wirtschaftlich tragfähig ist.
Die Bundesländer sollten prüfen, welche digitalen Aufgaben den Kommunen als Pflichtaufgaben übertragen werden können, um so Rechts- und Finanzierungssicherheit herzustellen. Da der größte Teil der Leistungen der digitalen Daseinsvorsorge über kommunale Unternehmen erfolgt, sollten die Länder das Gemeindewirtschaftsrecht in den Gemeindeordnungen dahingehend überprüfen, ob es genügend Spielraum für die kommunale wirtschaftliche Betätigung und Innovationen im dynamischen Markt digitaler Services bietet. Die kommunalen Unternehmen benötigen einen klaren Rahmen. Ein dritter Bereich betrifft die Bereitstellung digitaler Lösungen durch die Länder selbst. Denn obwohl Digitalagenturen ein breites Informations- und Beratungsangebot bereitstellen, um Kommunen bei der Entwicklung digitaler Lösungen für die Daseinsvorsorge zu unterstützen, gibt es Umsetzungsprobleme, wenn Gemeinden mit Anbietern digitaler Lösungen verhandeln, jedoch eine landesweit einheitliche Lösung bevorzugen würden, anstatt sich in die Abhängigkeit einer Betriebssoftware Dritter begeben zu müssen.
Zudem sollte auf Bundesebene geprüft werden, ob die digitale Daseinsvorsorge als Gemeinschaftsaufgabe im Grundgesetz verankert werden kann, sodass sich Bund und Länder gemeinsam dauerhaft an den Kosten verbindlich zu definierender Teilaufgaben der Digitalisierung beteiligen. Eine solche Gemeinschaftsaufgabe könnte an Kommunen und ihre Beteiligungen gleichermaßen gerichtet sein, um eine initialisierende Strategiebildung mit Maßnahmen zum Einsatz und der Verknüpfung digitaler Infrastrukturen und Prozesse im „Konzern Kommune“ zu fördern. Mit der Gemeinschaftsaufgabe ließe sich dem gesamtgesellschaftlichen Konsens Rechnung tragen, dass die Digitalisierung von den Kommunen im Rahmen ihrer zu erbringenden Daseinsvorsorge möglichst breit und strategisch forciert wird. Die Hürden für eine dafür erforderliche Grundgesetzänderung sind hoch, aber die digitale Daseinsvorsorge ist zu wichtig, als dass ihre Finanzierung stets nur punktuell und unsystematisch gefördert wird.
Die Klärung dieser Fragen und ebenenübergreifendes Handeln sind dringend. Deutschland liegt in Bezug auf eine flächendeckende digitale Versorgung und Teilhabe im internationalen Vergleich zurück. Es besteht großer Investitionsbedarf, der mit Blick auf den steigenden Fachkräftemangel noch bedeutsamer ist. Nur durch umfassende Digitalisierung, einschließlich der Nutzung von KI, werden öffentliche Leistungen der Daseinsvorsorge auch künftig in heute vergleichbarem Umfang bereitgestellt werden können.
Vorabveröffentlichung aus dem Difu-Magazin Berichte 4/2024