Die Verkehrswende funktioniert nur mit einem attraktiven ÖPNV
Luftbelastungen durch Stickoxide und Feinstaub, ausbleibende Erfolge bei der Senkung der Kohlendioxid- Emissionen des Verkehrssektors, Staus in Städten und Umland sowie hoher Parkdruck rücken den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) als stadtverträgliche Mobilitätsoption wieder stärker in den Fokus.
Lange erhielt der ÖPNV nicht die hohe öffentliche und politische Aufmerksamkeit, wie sie mittlerweile dem Radverkehr, der Elektromobilität und sogar bereits dem autonomen Fahren zuteil werden. Erst in jüngster Zeit haben Dieselabgasskandal und Fahrverbote als Katalysator gewirkt, die Problemlösungspotenziale des ÖPNV wieder offensiv zu diskutieren. Er ist das Rückgrat eines stadtverträglichen Verkehrs: Im Stadt- und Stadt-Umland-Verkehr liegen seine unbestrittenen Vorteile in der Flächeneffizienz, im sparsamen Umgang mit Energie und seiner allgemeinen Zugänglichkeit.
Im Gegensatz zu Flächen für den motorisierten Individualverkehr können Infrastrukturen des ÖPNV jedoch zu einem attraktiven Stadtbild beitragen. In einer neuen Veröffentlichung der Reihe Difu- Impulse geht es daher um die Umsetzung größerer ÖPNV-Projekte. Das sind insbesondere Infrastrukturen für den schienengebundenen ÖPNV, aber auch Liniennetzreformen sowie Programme, die den Busverkehr beschleunigen.
Bereits vor über zwanzig Jahren – im April 1997 – stellte der damalige Bundespräsident Roman Herzog fest, dass wir in Deutschland kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem haben. Mit Blick auf die Realisierung einer nachhaltigeren Mobilität lässt sich die Kernbotschaft dieser Feststellung noch heute mühelos auf den Verkehrssektor übertragen: Es mangelt nicht an Ideen und Konzepten, sondern vielmehr an ihrer Umsetzung.
Die Veröffentlichung beleuchtet daher u.a. mit Beiträgen zu Bürgerbeteiligung, zum Baustellenmanagement und zur Finanzierung zentrale Fragestellungen, die sich bei der Umsetzung großer ÖPNV-Projekte stellen. Schlüsselprojekte für einen attraktiven ÖPNV sind Erweiterungen und Verbesserungen der Infrastruktur sowie Reformen des Liniennetzes, die nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Kostenersparnis durchgeführt werden. Aufgrund planungsrechtlicher Vorlaufzeiten haben Schieneninfrastrukturprojekte einen Realisierungshorizont von mehreren Jahren. Kurzfristig können sie damit keinen Beitrag zu einem attraktiveren ÖPNV leisten. Allerdings sollten im Rahmen der aktuellen Phase der Aufgeschlossenheit gegenüber dem ÖPNV Projekte mit langfristiger Wirkung „aufgegleist“ werden. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die 1990er-Jahre: Im Anschluss an die Rio-Konferenz von 1992 und die Veränderungen der ÖPNV-Rahmenbedingungen im Kontext von Bahnreform und Regionalisierung war es möglich, eine Reihe von großen ÖPNV-Infrastrukturprojekten mit langfristiger Wirkung auf den Weg zu bringen. Beispiele hierfür sind das „Karlsruher Modell“ und Erweiterungen der Stadtbahnnetze in zahlreichen Städten.
Die „politische Großwetterlage“ für die Umsetzung von ÖPNV-Projekten ist gegenwärtig so freundlich, wie seit den 1990er-Jahren nicht mehr. Die aktuelle Diskussion um wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Verbesserung der Luftqualität in den Städten gibt der Umsetzung von ÖPNV-Projekten neuen Rückenwind und die Fördermöglichkeiten werden aufgestockt. Die Politik auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene sieht im ÖPNV einen wichtigen Baustein zur Problemlösung. Diese positive Grundstimmung gilt es zu nutzen. Der Sammelband soll daher aus praktischer und wissenschaftlicher Perspektive Hinweise für eine erfolgreiche Umsetzung großer ÖPNV-Projekte geben. Die Erfahrung lehrt, dass sich günstige Zeitfenster wieder schließen, sobald andere Themen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die Zeit zum Handeln sollte genutzt werden.