Foto: Graffito: eine menschliche Gestalt "verschwindet" durch ein Loch in der Decke, es sind nur noch die Füße sichtbar
Standpunkt

Editorial zum Special "Flüchtlinge und Asylsuchende in Kommunen"

Die Situation ist da!  

Dieses geflügelte Wort aus der 1956 von Konrad Adenauer gehaltenen "Gürzenich- Rede", in der er auch zur damaligen internationalen politischen Situation Ausführungen machte, kommt einem unwillkürlich angesichts des aktuellen Geschehens in den Sinn. Auch wenn diese Rede aus anderen Gründen in die Annalen eingegangen ist, enthält sie doch einige Passagen, die aktuell anmuten: "Meine Herren, die außenpolitische Lage in der Welt ist noch niemals in den letzten sieben Jahren – ich glaube, man kann noch weiter zurückgehen – so schwierig, so verworren und so unsicher gewesen wie jetzt."

Verworrenheit und das Fehlen einer verlässlichen Perspektive der Entwicklung sind neben der hohen Anzahl von Flüchtlingen und Asylsuchenden z.Zt. Ursachen dafür, dass inzwischen in vielen Kommunen Gefühle der Überforderung und Ohnmacht anzutreffen sind. Die zentralen Ursachen der Zuwanderung – Krieg, politische Verfolgung, Klimafolgen, Armut – sind von kommunaler Ebene nicht zu beeinflussen. Gleiches gilt für Regularien wie den Verteilungsschlüssel auf europäischer Ebene. Die Konsequenzen sind jedoch täglich am unmittelbarsten in den Kommunen zu erleben.

Trotzdem sind Dank des enormen Engagements aller Akteure – Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft – und ihres Zusammenwirkens erfreulicherweise große Erfolge bei der Bewältigung der Herausforderungen festzustellen. Improvisations- und Innovationsfähigkeit spielen dabei eine wichtige Rolle. Es ist zurzeit unvermeidbar, fallweise von an sich richtigen und im Hinblick auf die Prinzipien einer nachhaltigen Stadtentwicklung bedeutsamen Regularien abzuweichen. Gerade angesichts des Umstands, dass die Folgen des Klimawandels zumindest auch Auslöser aktueller Wanderungsbewegungen sind, muss es nach wie vor Ziel sein, die Städte entsprechend dieser Prinzipien weiterzuentwickeln. Diesen Prinzipien nicht entsprechende Maßnahmen dürfen daher tatsächlich nur temporärer Natur sein, und ihre Rückabwicklung muss sichergestellt sein. Eine weitere Konsequenz ist die Notwendigkeit, möglichst bald parallel zu den kurzfristig orientierten, temporären Maßnahmen Konzepte mit mittel- und langfristiger Perspektive zu erarbeiten. Programme und Maßnahmen zum Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden müssen Bestandteil integrierter Entwicklungskonzepte sowohl für die Gesamtstadt als auch auf Stadtteil- und Quartiersebene werden. Menschenwürdige Unterbringung, Bemühungen um Integration auch und gerade durch Familiennachzug und entsprechende Bildungsangebote sind zentrale Aufgaben. Bei ihrer Bewältigung gibt es eine Reihe offener Fragen: Wie z.B. lässt sich die richtige Balance zwischen Vermeidung von Ghettoisierung und dem Wunsch nach Leben in der gewohnten Ethnie finden? Auch für die Wissenschaft gibt es also akute Betätigungsfelder. Dabei kann auf zahlreiche Forschungsergebnisse und praktische Erfahrungen zurückgegriffen werden. So ist z.B. der "Bericht der unabhängigen Kommission Zuwanderung" aus dem Jahr 2001 in vielen Inhalten nach wie vor relevant: "Eine neue Integrationspolitik sollte sich an einen breiten Adressatenkreis wenden; es genügt keineswegs, das Augenmerk allein auf Neuzuwandernde mit dauerhafter Aufenthaltsperspektive zu richten. In Deutschland leben bereits heute mehr als sieben Millionen Einwanderer der ersten, zweiten und dritten Generation. Ihre Integration verlief in vielen Fällen sehr erfolgreich. Gleichwohl zeichnen sich Problemfelder und Konflikte ab, vor denen wir die Augen nicht verschließen dürfen". In diesem Zusammenhang betont der Bericht auch die Bedeutung von Perspektiven für Kinder und Jugendliche.

Für die erfolgreiche Bewältigung der Herausforderungen bedarf es nicht nur der Konzepte sondern auch geeigneter Instrumente. Viele sind vorhanden. Zugleich muss die Notwendigkeit neuer Instrumente geprüft werden. So könnte die Weiterentwicklung des Bodenrechts mit Blick auf eine wirksame Durchsetzung der in Art. 14 GG enthaltenen Allgemeinwohlorientierung von Grund und Boden ein wichtiges Element bei der Mobilisierung notwendiger geeigneter Bauflächen sein.

"Deutschland steht an einer Wende in Fragen Migration und Integration: Nach Jahren des Schweigens oder Ignorierens hat sich eine intensive Diskussion um das Thema Zuwanderung entwickelt, die nach konstruktiven Ansätzen und Lösungen sucht", so Rita Süssmuth, Vorsitzende der Unabhängigen Kommission Zuwanderung, in einem Vortrag im Jahr 2002. Diese Feststellung ist – wieder bzw. immer noch – aktuell. Das Difu bringt sich in die Diskussion ein!

Weitere Informationen

  • Bericht der Unabhängigen Kommission "Zuwanderung"; Bundesministerium des Innern; Berlin 2001, S. 201
  • Süssmuth, Rita: "Migration in Deutschland – Betrachtungen aus Sicht der Politik", in: Stadtentwicklung durch Zuwanderung – Integration von Migration –; Hrsg.: DASL, Verlag Müller & Busmann, Wuppertal 2003; S. 58

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Portraitfoto Martin zur Nedden

Autor: Prof. Martin zur Nedden