Pressemitteilung

Der große Umbruch - Deutsche Städte und Globalisierung

Der große Umbruch - Deutsche Städte und Globalisierung

Der große Umbruch

Deutsche Städte und Globalisierung

Globalisierung ist ein Prozess, der auf eine lange Geschichte zurückblickt. Nach einer längeren, durch die beiden Weltkriege und ihre Folgen bedingten Zäsur ist dieser Prozess ab den 1970er Jahren in eine neue Phase eingetreten. Maßgebliche Triebkräfte und Merkmale dieser Entwicklung sind: Die Krise der als Fordismus bezeichneten Formation der kapitalistischen Wirtschaftsweise; die zur Bekämpfung dieser Krise eingesetzten, der Erschließung neuer Räume, Märkte und Profitquellen dienenden und auf den Prinzipien des Neoliberalismus basierenden Strategien der Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung, weitreichende ab den späten 1980er Jahren einsetzende geopolitische Veränderungen, in deren Folge die bevölkerungsreichsten Staaten der Welt – China und Indien – zu einflussreichen Weltmarktteilnehmern wurden sowie ein umfassender technologischer Innovationsschub, der diese Entwicklungen und „Entgrenzungen“ ermöglichte und beschleunigte.

Wie nun wirken sich der aktuelle Globalisierungsprozess und seine Triebkräfte (unter Berücksichtigung der Politiken von EU und Bundesregierung und ihrer vermittelnden wie auch beschleunigenden Funktion) auf deutsche Städte und ihre Strukturen aus? Mit welchen Strategien und Maßnahmen begegnen diese den neuen Herausforderungen? Wo stoßen sie im Kontext eines zunehmend komplexer werdenden politischen Mehr-Ebenen-Systems auf deutliche Grenzen? Zur Beantwortung dieser Fragen wurden zum einen mehr als 50 Gespräche mit maßgeblichen kommunalen und supra-kommunalen Entscheidungsträgern sowie Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft geführt und zum anderen eine Vielzahl thematisch relevanter Materialien ausgewertet: einschlägige Veröffentlichungen und Studien, graue Literatur von Städten und Verbänden und nicht zuletzt (zur Untermauerung aktueller Entwicklungstrends) eine große Zahl von Beiträgen aus (Fach-)Zeitschriften sowie Wochen- und überregionalen Tageszeitungen.

Der aktuelle Globalisierungsprozess – dies zählt zu den zentralen Ergebnissen der Studie – bedeutet eine tief greifende Transformation kommunaler Strukturen und Handlungsfelder. Dies gilt vor allem für Wirtschaft und Arbeitsmarkt, infolge vielfältiger struktureller Verknüpfungen aber auch für demographische und soziale Verhältnisse, Stadtgestalt und räumliches Gefüge und nicht zuletzt die politisch-administrative Organisation von Kommunen. Betroffen von diesen Veränderungen sind alle Städte und Gemeinden: positiv wie negativ, mittel- wie unmittelbar, infolge der besonderen Bedingungen des Einzelfalles unterschiedlich in Intensität, Ausmaß und Zeit. Maßgebliche Merkmale des Veränderungsschubes sind:

  • ein umfassender Strukturwandel der Wirtschaft und ihrer Unternehmen (mit sektoralen Einbrüchen und Verschiebungen, Umbau und Internationalisierung von Produktions- und Unternehmensstrukturen, Veränderung von Finanzierungsstrukturen und Unternehmenszielen),
  • ein Umbruch des Arbeitsmarktes (mit einer Erosion der an gesicherter Vollzeitbeschäftigung orientierten Normalarbeitsverhältnisse, der Zunahme neuer, vielfach nur temporärer, den Erfordernissen des Marktes entsprechender und häufig prekärer Beschäftigungsverhältnisse sowie einer deutlichen Einkommenspolarisierung),
  • sich ändernde, mit der Transformation von Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie geopolitischen Umbrüchen einhergehende demographische Strukturen (mit einer veränderten Zusammensetzung der Bevölkerung nach Alter und ethnischer Zugehörigkeit bei insgesamt rückläufigen Bevölkerungszahlen) wie auch einer zunehmenden, durch steigende Armutszahlen gekennzeichneten Spaltung der (Stadt-) Gesellschaft in Gewinner und Verlierer,
  • eine Zunahme groß- und kleinräumiger Disparitäten (mit Wachstumsregionen und attraktiven Stadtquartieren auf der einen Seite, Räumen der De-Ökonomisierung und Schrumpfung sowie Armutsquartieren auf der anderen Seite),
  • eine sukzessive Erosion der kommunalen Selbstverwaltung und ihrer Strukturen (als Folge von externem Veränderungsdruck, Haushaltsengpässen und internen Modernisierungsstrategien).

Städte und Gemeinden begegnen den aktuellen Herausforderungen und Veränderungen mit einer Vielzahl von Aktivitäten, deren Schwerpunkte und Gestalt von den Strukturen, Handlungsmöglichkeiten und Akteurskonstellationen des Einzelfalles abhängen.

Die Stadtpolitik als Antwort auf die mittel und unmittelbaren Auswirkungen des aktuellen Globalisierungsprozesses gibt es nicht. Ungeachtet aller Unterschiede haben sich dennoch eine Reihe, sich von früheren Zeiten deutlich unterscheidender gemeinsamer strategischer Handlungsschwerpunkte herausgebildet. Diese umfassen:

  • eine fortschreitende Internationalisierung kommunalen Handelns (mit einer Zunahme grenzüberschreitender Netzwerke, Partnerschaften, Veranstaltungen und High-Level-Kontakten),
  • veränderte wirtschaftsstrukturelle Schwerpunktsetzungen (besondere Bedeutung wird hier dem in vielfältiger Weise mit den zentralen deutschen Exportindustrien vernetzten Feld der Hochtechnologien, der Logistikbranche und dem Tourismussektor beigemessen),
  • ein breites, durch eine zunehmende Dualisierung gekennzeichnetes Politik-Spektrum: wettbewerbsorientierte Standortpolitiken einerseits (zur Steigerung kommunaler Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit in Bezug auf externe Akteure wie Investoren, zukunftsorientierte Unternehmen, hoch qualifizierte Arbeitskräfte sowie Touristen), bewohnerorientierte Innenpolitiken andererseits (von Maßnahmen der Beschäftigungs- und Wohnungspolitik bis zu Aktivitäten der Bildungs- und Integrationspolitik) sowie
  • eine Öffnung kommunaler Strukturen, Aufgaben und Einrichtungen für den Privatsektor, seine Prinzipien und Akteure (von der betriebswirtschaftlich orientierten Modernisierung von Verwaltungsstrukturen bis zur Privatisierung kommunaler Leistungen und Unternehmen).

Die Ergebnisse der vielfältigen Aktivitäten, mit denen Städte und Gemeinden auf die Herausforderungen des aktuellen Globalisierungsprozesses reagieren, sind ambivalent:

  • auf der einen Seite stehen attraktive Standorte für das breite Feld der Zukunftstechnologien, vielfältige Wohn-, Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebote (vor allem für hoch qualifizierte Beschäftigte), ausgefallene (städte-)bauliche Projekte, die in der Regel mit einem deutlichen kommunalen Image- und Attraktivitätsgewinn einhergehen sowie erneuerte und/oder umgebaute Stadtzentren, die als Hintergrund sich häufender Events und als Anziehungspunkte für steigende Touristen- und Besucherzahlen fungieren,
  • gleichzeitig – und dies ist die andere Seite – sind soziale und ökonomische Probleme und Benachteiligungen kaum geringer geworden. Der Anteil unsicherer und in der Regel schlecht bezahlter Beschäftigungsverhältnisse hat – bei gleichzeitig rückläufigen Arbeitslosenzahlen – zugenommen. Die Armutsquote ist weiter gestiegen und ungeachtet des Relevanzgewinns kommunaler Kinderfreundlichkeit zählen Kinder zu den Hauptbetroffenen von Armut. Verfestigt hat sich vielfach auch die räumliche Segregation: in nicht nur ethnisch, sondern auch durch Einkommen und soziale Situation der Bewohner voneinander abgegrenzte Quartiere.

Der ambivalente Befund macht deutlich, dass zwischen kommunalen Strategien und Maßnahmen und den Problemen und Herausforderungen, mit denen Städte konfrontiert sind, eine deutliche Lücke klafft. Zur Schließung dieser Lücke werden bloße Symptomkorrekturen und Programmmodifikationen als unzureichend erachtet. Gefordert wird eine Stärkung der kommunalen Ebene und eine Abkehr von der gegenwärtigen Erosion der kommunalen Selbstverwaltung; gefordert wird vielfach aber auch ein weitgehender Paradigmenwechsel: von der vorrangigen Wettbewerbs- und Angebotsorientierung zu einer verstärkten Berücksichtigung konkreter Bedarfe und sozialer Belange aller Stadtbewohner. Dieser Paradigmenwechsel sollte nicht allein die kommunale Ebene erfassen, sondern für alle Akteure des zunehmend komplexer werdenden politischen Mehr-Ebenen-Systems gelten, in das die Städte eingebunden sind. Ziel dieser Forderungen ist nicht eine Abkehr von der Globalisierung, sondern eine Neuorientierung des aktuellen, neoliberal geprägten Globalisierungsprozesses in Richtung einer – in den Worten von Joseph Stieglitz – „Globalisierung mit menschlichem Antlitz“.

Die skizzierten Untersuchungsergebnisse werden in der neuen Difu-Studie detailliert belegt. Besonderer Raum wird dabei – nach einem einleitenden Überblick über den aktuellen Globalisierungsprozess und das sukzessive Vordringen neoliberaler Prinzipien – der globalisierungsbedingten Transformation kommunaler Strukturen und dem breiten Spektrum städtischer Reaktionen gegeben. Abgeschlossen wird die Arbeit mit einem breiten, im Wesentlichen auf den eingangs genannten Expertengesprächen basierenden Katalog von Forderungen und Empfehlungen.

„Der große Umbruch. Deutsche Städte und Globalisierung“ erscheint in Kürze in der Reihe „Edition Difu“ www.difu.de/publikationen/liste.phtml?kategorie=Edition+Difu.

Weitere Informationen:

Dr. phil., Dipl.-Ing. Werner Heinz Telefon: 0221/340308-10 E-Mail: heinz [at] difu [dot] de (heinz[at]difu[dot]de)

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