Foto: eine junge Frau liegt auf einer Wiese und macht Seifenblasen
Standpunkt

Mehr Umweltgerechtigkeit in unseren Städten schaffen!

Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit? Wer kennt sie nicht, die Wohnlagen an lauten Hauptverkehrsstraßen mit hoher Feinstaubbelastung und wenig Grün vor der Haustür?

Wer kennt sie nicht, die Wohnlagen an lauten Hauptverkehrsstraßen mit hoher Feinstaubbelastung und wenig Grün vor der Haustür? Wohnen möchte hier kaum einer! In schrumpfenden Städten stehen diese Wohnungen daher häufig leer. In wachsenden Städten dagegen sind auch diese Wohnlagen aufgrund des angespannten Wohnungsmarkts nachgefragt. Oft sind dies Haushalte, die sich aufgrund ihres geringen Einkommens Wohnstandorte in besseren Lagen nicht leisten können.

Mehrere Untersuchungen belegen den räumlichen Zusammenhang von niedrigem Sozialstatus und höheren Umweltbeeinträchtigunge. Dazu zählen Lärm, Luftschadstoffe, mangelnde Ausstattung mit Grün- und Freiflächen sowie bioklimatische Belastungen. Nicht selten sind hiervon ganze Quartiere betroffen. So wurden in Berlin unter Federführung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt mittels einer kleinräumig orientierten und indikatorbasierten Umweltbelastungsanalyse zahlreiche Gebiete – vor allem Quartiere in der Innenstadt – identifiziert, die mehrfach umweltbelastet sind und zudem eine problematische Sozialstruktur aufweisen.

Gleichzeitig zeigen verschiedene Untersuchungen, dass bei Menschen mit geringem Einkommen und niedrigem Sozialstatus eine Tendenz zur stärkeren gesundheitlichen Beeinträchtigung (u.a. Herzkreislauf- und Atemwegserkrankungen, Schlafstörungen) durch negative Umwelteinflüsse besteht.

Soziale Lage, Umwelt und Gesundheit räumlich zusammendenken!

Vor dem Hintergrund des räumlichen Zusammenhangs von niedrigem Sozialstatus, geringer Umweltqualität und höheren Gesundheitsrisiken ist es notwendig, die Schnittstellen von Stadtentwicklungs-, Sozial-, Umwelt- und Gesundheitspolitik in den Städten stärker als bisher in den Blick zu nehmen. Für ein solches Zusammendenken von sozialer Lage, Umwelt und Gesundheit steht Umweltgerechtigkeit. Umweltgerechtigkeit zielt auf die Vermeidung und den Abbau der sozialräumlichen Konzentration gesundheitsrelevanter Umweltbelastungen sowie die Gewährleistung eines sozialräumlich gerechten Zugangs zu Umweltressourcen. Ziel ist es, sozialraumorientiert umweltbezogene Gesundheitsbeeinträchtigungen zu vermeiden und zu beseitigen sowie bestmögliche umweltbezogene Gesundheitschancen herzustellen.

Umweltgerechtigkeit verbindet damit klassische Ziele des gesundheitsbezogenen Umweltschutzes im Sinne der Vermeidung oder Beseitigung von Umweltbelastungen mit dem aus dem Gleichheitsgrundsatz und dem Sozialstaatsprinzip abgeleiteten Ziel eines sozialgerechten Zugangs zu einer möglichst gesunden Lebensumwelt.

Thema Umweltgerechtigkeit findet zunehmend Beachtung

Seinen Ursprung hat das Thema Umweltgerechtigkeit in den USA. Hier entstand in den 1980er-Jahren die Environmental Justice-Bewegung, die maßgeblich durch die von Umweltbelastungen besonders betroffenen afro-amerikanischen Bevölkerungsgruppen getragen wird. In Deutschland erfährt das Thema erst in den letzten zehn Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit – auch wenn bereits Anfang des 20. Jahrhunderts der Zusammenhang zwischen Armut, ungünstigen Wohnverhältnissen und erhöhter Sterblichkeit thematisiert wurde und die „Charta von Athen“ mit dem Primat von Funktionstrennung und von „Licht, Luft und Sonne“ als Standard für alle Bürger – unabhängig vom Einkommen – den deutschen Nachkriegsstädtebau entscheidend geprägt hat.

Während Umweltgerechtigkeit in Deutschland zunächst vor allem in der Wissenschaft auf Interesse stieß, beschäftigt sich in jüngerer Zeit auch die Fachpolitik mit dem Thema. So haben das Umweltbundesamt (UBA) und das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) mehrere Forschungsvorhaben zur Umsetzung von Umweltgerechtigkeit auf kommunaler Ebene gestartet. Im Masterplan Umwelt und Gesundheit des Landes Nordrhein-Westfalen ist Umweltgerechtigkeit als ein Schwerpunktthema gesetzt und das Land Berlin hat ein kleinräumiges Umweltgerechtigkeitsmonitoring entwickelt und implementiert. Gleichwohl muss trotz dieser Aktivitäten konstatiert werden: In den Kommunen ist das Thema Umweltgerechtigkeit noch nicht wirklich angekommen; eine kommunale Agendasetzung steht noch aus.

Umweltgerechtigkeit: Mehrwert für Kommunen?

Für eine erfolgreiche Agendasetzung der Umweltgerechtigkeit in den Kommunen muss zunächst die Frage beantwortet werden, warum es für Kommunen sinnvoll sein kann, sich mit dem Thema Umweltgerechtigkeit auseinanderzusetzen. Hierfür gibt es eine Reihe von guten Argumenten:

  • Umweltgerechtigkeit leistet einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität und Schaffung von gesunden Lebensbedingungen in der Stadt.
  • Umweltgerechtigkeit trägt zur Schaffung einer ausgewogenen Stadtstruktur und eines sozialen und gesellschaftlichen Ausgleichs bei (Chancengleichheit bei gesundheitsrelevanten Umweltbedingungen).
  • Umweltgerechtigkeit führt die Politikbereiche Umwelt, Gesundheit, Soziales und Stadtentwicklung zusammen und fördert daher integrierte Lösungs- und Handlungswege.
  • Die Identifizierung von mehrfach umweltbelasteten Gebieten in der Kommune, die zudem eine problematische Sozialstruktur aufweisen, bietet die Grundlage für einen bedarfsgerechten und effizienten Einsatz von Haushalts- und Fördermitteln.
  • Aus der sozialraumorientierten Verbesserung des Standortfaktors Umwelt kann ein Imagegewinn für die Kommune werden.

Umweltgerechtigkeit als Querschnittsaufgabe verstehen

Die Stärke des Ziels „Umweltgerechtigkeit“ liegt vor allem in der integrierenden Wirkung. Umweltgerechtigkeit sollte daher nicht als neue isolierte Verwaltungsaufgabe mit separaten Strukturen, sondern querschnittsorientiert realisiert werden, indem Belange von Umweltgerechtigkeit bei allen relevanten Planungen und Vorhaben Berücksichtigung finden. Erforderlich ist hierfür eine Abkehr vom sektoral ausgerichteten Verwaltungshandeln hin zu einer integrierten Betrachtung und Umsetzung von Umwelt-, Sozial- und Gesundheitsbelangen.

Anknüpfungspunkte für das Thema Umweltgerechtigkeit bieten insbesondere Umwelt (verträglichkeits)prüfungen, Stadt(teil)entwicklungskonzepte, die Städtebauförderprogramme Soziale Stadt und Stadtumbau sowie die Bauleit-, Landschafts- und Lärmaktionsplanung. Jedes dieser Instrumente bietet spezifische Potenziale zur Schaffung von mehr Umweltgerechtigkeit in der Stadt. Umgekehrt ist keines der Instrumente allein in der Lage, mehr Umweltgerechtigkeit zu schaffen. Vielmehr ist hierfür das gesamte ausdifferenzierte System formeller und informeller Planungsinstrumente je nach Ausgangslage variabel und aufeinander abgestimmt einzusetzen.

Dazu gehört auch, bei Umweltplanungen – anders als in der bisherigen Praxis – sozialräumliche Aspekte zu berücksichtigen und bei Umwelt(verträglichkeits)prüfungen stärker auf eine qualifizierte Betrachtung der Wirkungen auf das Schutzgut „Menschliche Gesundheit“ zu achten. Ein räumlich ausgerichteter Fachplan Gesundheit als neues Planungsinstrument kann die systematische und proaktive Wahrung von Gesundheitsbelangen – auch unter dem Aspekt von Umweltgerechtigkeit – in räumlichen Gesamt- und Fachplanungen unterstützen. Damit einhergehen muss eine stärkere sozialräumliche Ausrichtung im Handeln der kommunalen Gesundheitsämter.

Umweltgerechtigkeit heißt auch Verfahrensgerechtigkeit

Nicht zuletzt muss es beim Thema Umweltgerechtigkeit darum gehen, Verfahrensgerechtigkeit in Form gleicher Beteiligungsmöglichkeiten für alle herzustellen. Die bisherige Praxis zeigt jedoch, dass durch viele klassische Beteiligungsverfahren insbesondere Bevölkerungsgruppen mit geringem Sozial-, Bildungs- und Einkommensstatus kaum oder gar nicht erreicht werden. Dies sind aber gleichzeitig die Bevölkerungsgruppen, die oftmals in den städtischen Teilräumen leben, in denen sich Umweltbelastungen sowie soziale und gesundheitliche Benachteiligungen konzentrieren. Erfahrungen des Quartiermanagements im Programm Soziale Stadt zeigen, dass insbesondere aufsuchende und aktivierende sowie zielgruppen- und projektbezogene Partizipationsmöglichkeiten diese Bevölkerungsgruppen erreichen können.

Umweltgerechtigkeit – eine Gemeinschaftsaufgabe

Ein Mehr an Umweltgerechtigkeit ist eine zentrale Herausforderung bei der Entwicklung kompakter, menschengerechter und resilienter Städte. Kommunen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu, allein werden sie aber mit dieser Aufgabe überfordert sein. Nur durch das Zusammenwirken von Politik und Verwaltung auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, von Wissenschaft und Zivilgesellschaft wird es möglich sein, Umweltgerechtigkeit dauerhaft zu verankern und gesunde Quartiere und Lebensbedingungen für alle Menschen in den Städten zu schaffen.

Weitere Informationen

  • Bolte, Gabriele, Christiane Bunge, Claudia Hornberg, Andreas Mielck, Heike Köckler (Hrsg.; 2012): Umweltgerechtigkeit durch Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit – Konzepte, Datenlage und Handlungsperspektiven. Bern.
  • Klimeczek, Heinz-Josef (2014): Umweltgerechtigkeit im Land Berlin – Zur methodischen Entwicklung des zweistufigen Berliner Umweltgerechtigkeitsmonitorings. In: UMID: Umwelt und Mensch – Informationsdienst, Ausgabe 2, S. 16–22.
  • Maschwesky, Werner (Hrsg.) (2001): Umweltgerechtigkeit, Public Health und soziale Stadt. Frankfurt am Main. 

 

Kontakt

Christa Böhme

Autorin: Christa Böhme

Thomas Preuß

Autor: Thomas Preuß