Über die Ufer getretener Fluss überschwemmt Altenahr

Klimaanpassung: Glory in prevention – mehr Anerkennung für Vorsorge!

Die jüngste Hochwasserkatastrophe führt uns allen schmerzlich vor Augen, wie wichtig wirksame Klimaanpassungsmaßnahmen sind. Eine wesentliche Rolle hat dabei die Vorsorge, die als kontinuierliche Aufgabe der Gesamtgesellschaft verstanden werden muss, wobei Kommunen eine zentrale Rolle spielen.

Ein Beitrag von Jens Hasse

Das im NDR-Podcast von Christian Drosten im März 2020 ausgesprochene Zitat „There is no glory in prevention“ ist seitdem in aller Munde – zu Recht! Und es passt auch gut zu dem Dilemma, in dem nicht nur unsere Gesellschaften in Deutschland und Europa, sondern die von Klimaänderungen und Extremereignissen betroffenen Gesellschaften weltweit stecken. Vorsorge für den Fall von Extremereignissen, für eine weitere sichere Zukunft der Welt, wie wir sie heute kennen, das scheint nicht sonderlich attraktiv zu sein. Risiko-, Klima- oder Elementarschadensvorsorge ist lästige Pflicht, kostet Geld und man kann damit nicht glänzen.

Vorsorgen ist wichtiger und dringender denn je

Dabei ist im Lichte der Starkregen- und Hochwasserereignisse, Wald- und Heidebrände, der langen Hitze- und Trockenperioden und der seit Jahren ansteigenden Jahresdurchschnittstemperaturen in Deutschland eine kontinuierliche Vorsorge dringender denn je: Mit 2020 lagen neun der zehn wärmsten Jahre in Deutschland im 21. Jahrhundert [DWD 2021]. Die Durchschnittstemperaturen sind in Deutschland seit den 1970er-Jahren bereits um 1,8°C gestiegen (1,6°C seit 1881) [DWD 2020]. Dass die wärmere Atmosphäre mehr Wasser aufnehmen kann und dass deshalb intensivere Regenfälle und Starkregenereignisse wahrscheinlicher werden, haben das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der Deutsche Wetterdienst und eine Vielzahl weiterer Klimafachleute nicht erst in den vergangenen drei Wochen deutlich gemacht.

Auch der gerade veröffentlichte neue Bericht des Weltklimarats (IPCC) macht nochmals sehr deutlich, welche globalen und regionalen Klimafolgen auf uns und die nachfolgenden Generationen zukommen, wenn es der heutigen Generation, also uns (!), nicht gelingt, die CO2-Emissionen weltweit drastisch zu reduzieren. Dazu müssen auch wir in Europa und Deutschland einen großen Beitrag leisten. Als Verbraucher fossiler Energie und anderer Ressourcen, als global führende Anbieter von Umweltschutztechnologien und als aufgeklärte Gesellschaften tragen wir die Verantwortung für den Erhalt der Lebensgrundlagen künftiger Generationen. Auch das Bundesverfassungsgericht urteilte kürzlich, dass Bundestag und Bundesregierung bis Ende 2022 einen klaren Reduktionsplan beschließen müssen, wie die selbst gesetzten, verbindlichen Klimaziele generationengerecht erreicht werden sollen.

Klimaveränderungen sind längst spürbar

Langsame, „schleichende“ Klimaveränderungen sind auch in Deutschland bereits seit längerem nachweisbar, wie die Klimafolgenmonitorings des Bundes und vieler Bundesländer klar zeigen. Dazu kommen regelmäßig auftretende Extremwetterereignisse, deren Auswirkungen durch eine ungebremste Flächenversiegelung, zu wenig Grün in Siedlungsgebieten, die Bebauung von Überflutungsflächen und eine fortschreitende Reduzierung von Wald- und Grünflächen verstärkt werden. Beispiele hierfür sind nicht nur die katastrophalen Hochwasserereignisse in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vom Juli, sondern auch die Hitzesommer 2018 und 2019 und die Überflutungen und Sturzfluten in Münster, Braunsbach, Simbach und Goslar, um nur einige wenige aus den Jahren 2014 bis 2017 zu nennen. Auch die Schadenshöhen infolge solcher Extremwetterereignisse steigen nach Angaben der Versicherungen seit Jahren kontinuierlich an. Klar sollte allen Kommunen, Unternehmen und Bürger*innen sein: Es kann jede*n treffen! Eine breit angelegte vorsorgende Anpassung an die Folgen des Klimawandels ist deshalb mehr denn je das Gebot der Stunde.

Straße mit Grünflächen um Aufnahme von Regen zu ermöglichen
Vorbildliche Klimaanpassungsmaßnahmen in Antwerpen
Handeln auf mehreren Ebenen notwendig

Mit Blick auf vier Schwerpunkte müssen Bund, Länder und Kommunen, Unternehmen und Bürger*innen jetzt im Sinne der Klima- und Zukunftsvorsorge dringend gemeinsam handeln, klare Entscheidungen treffen und konsequent umsetzen:

  • Die begonnenen Anstrengungen zur Energieeinsparung und zum Klimaschutz gerade im Gebäude-und Verkehrsbereich müssen fortgesetzt, verstärkt und beschleunigt werden. Die dringend erforderliche Klimaneutralität, 'as early as possible', kann nur mit einer umfassenden Nutzung aller energetisch sinnvollen Flächen für Photovoltaik und Windenergie sowie einer Mobilitätswende erreicht werden. Viele Lösungen liegen vor, werden von Vorreiterkommunen in ganz Deutschland umgesetzt und müssen nun von jeder Kommune aufgegriffen werden. Die Wissenschaftler*innen des IPCC und viele weitere sind sich einig: Nur, wenn wir mindestens das Zwei-Grad-Ziel erreichen, werden wir auch in der Lage sein, uns in unseren Breiten an negative Klimafolgen anzupassen!

     
  • Unsere Städte, Gemeinden, Wohn- und Gewerbegebiete, Gebäude und Infrastrukturen müssen zügig robuster und anpassungsfähiger werden. Das gilt sowohl für Neubauten als auch für den Bestand. Die baulichen und planerischen Lösungen zur Starkregen- wie auch zur Hitzevorsorge sind bekannt, es mangelt in vielen Ländern und Kommunen an den erforderlichen politischen Vorgaben und Entscheidungen. Für die Umsetzung jedes Planungsprozesses, jeder Investitionsentscheidung und jeder Baugenehmigung muss Folgendes mitgedacht werden: Mehr Grün und Verschattung in stark verdichteten öffentlichen Räumen; Platz und Raum schaffen – auch im Bestand – für den Rückhalt von Starkregen, für Wasserwege und -plätze und an Gewässern auch für Hochwasser. Gebäude klimagerecht bauen und mit sommerlichem Wärmeschutz nachrüsten, Synergien schaffen mit Klimaschutzmaßnahmen, als Vorbild wirken und auf private Gebäudeeigentümer*innen aktiv, mit einer klaren Haltung und guten Anreizprogrammen zugehen, das sind die Aufgaben für alle Kommunen in Deutschland. Praxisbeispiele, Beratung und auch finanzielle Unterstützung gibt es dafür seit einigen Jahren. Bund und Länder müssen die Kommunen, Unternehmen und Gebäudeeigentümer*innen zukünftig noch deutlich stärker und dauerhaft unterstützen, damit diese ihren Teil der Klimavorsorge und -anpassung erbringen können – nicht als Sonderleistungen, sondern als selbstverständlichen Teil ihrer tagtäglichen Aufgaben.

     
  • Kommunen müssen dringend den Flächenverbrauch und die Flächenversieglung reduzieren und die Entsiegelung im Bestand vorantreiben. Nur so können sie sich klimagerecht entwickeln und die beschlossenen Klimaziele erreichen! Vom 30-minus X ha-Ziel 2030 und einem Flächenkreislauf bis 2050 sind wir noch immer weit entfernt. Statt flächen- und ressourcenintensiven Wohnungsbau zu forcieren, müssen Kommunen, Bauwillige und Projektentwickler*innen Baulücken nutzen, Brachflächen recyceln, vorhandenen Bestand, mindergenutzte Flächen und Leerstände qualifizieren und andere flächensparende Konzepte verfolgen. Mehr Flächeneffizienz lässt sich durch mehrgeschossiges Bauen und Nutzungsmischung von Wohnen, Handel, Handwerk, urbaner Produktion und Bildung erreichen. Klimavorsorge und flächeneffektives Planen und Bauen heißt auch hier nicht erst seit Mitte Juli: Mehr Raum für das Wasser schaffen – sowohl für Hochwasserschutz an Gewässern und den Rückhalt von Starkregen in allen bebauten Gebieten als auch für Versickerung und kühlendes Grün!

     
  • Vorsorge auf allen staatlichen Ebenen und das (eigen-)verantwortliche Handeln von Seiten der Unternehmen sowie der Bürger*innen müssen sich ergänzen, um Hitze, Starkregen, Hochwasser und anderen Extremwetterereignissen wirksam zu begegnen. Mehr gemeinsames öffentliches und privates Engagement, aber auch die Förderung für Vorsorge sind gefragt, um die (Klima-)Resilienz – also die Widerstandsfähigkeit und die Veränderungsfähigkeit – in Städten und Gemeinden sowie in der Gesellschaft zu verbessern. Lebensqualität, Sicherheit und Gesundheit benötigen Vorfahrt. Die Erstellung von Starkregengefahrenkarten, hitzebezogenen Klimaanalysen und kommunalen Hitzeaktionsplänen können dabei helfen, das Risikobewusstsein zu schärfen, Risiken zu vermindern und das Risikomanagement zu verbessern. Aber auch die Grenzen technischer Schutz- und Vorsorgemaßnahmen zu verstehen und zu akzeptieren, muss als Teil des neuen Risikomanagements jedes Einzelnen gelernt und immer wieder geübt werden.

Als Träger der kommunalen Gemeinwesen und Zuständige für die Daseinsvorsorge können und sollten alle Städte, Gemeinden und Landkreise als Vorreiter, Impulsgeber und Taktgeber für eine vorsorgende, klima- und generationengerechte Entwicklung aktiv werden. Nichthandeln im Klimaschutz und der Klimaanpassung führt unweigerlich zu weiteren Schäden an Gebäuden, Infrastruktur, Eigentum und Verlusten von wirtschaftlichen Existenzen, von Heimat und im schlimmsten Fall auch von Menschenleben. Dem gilt es durch kluge Vorsorge gemeinsam und frühzeitig zu begegnen!

Für diese Gemeinschaftsaufgabe zur Vorsorge für die Zukunft braucht es Haltung, Veränderungswillen, Vernunft und Empathie auf Seiten der Entscheidungsträger*innen in Politik, Verwaltung, Unternehmen und bei den Bürger*innen. Viele sind bereits gestartet und können Erfolge vorweisen.

An dieser Stelle kommt das neue Zentrum KlimaAnpassung ins Spiel. Es hilft Kommunen und sozialen Einrichtungen dabei, Maßnahmen zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu planen und umzusetzen. Dazu zählt auch das Finden der jeweils passenden Förderung. Das Zentrum wird im Auftrag des Bundesumweltministeriums unter Federführung des Difu und in Kooperation mit adelphi betrieben.

Sie erhalten noch keine Anerkennung für Vorsorgemaßnahmen? Dann melden Sie sich bei uns im Zentrum KlimaAnpassung, wir stellen bemerkenswerte Vorsorgeprojekte in ganz Deutschland vor!

 

Vorabveröffentlichung des im September im Difu-Magazin Berichte 3/2021 erscheinenden Textes.

 

[DWD 2021]: F. Imbery, F. Kaspar, K. Friedrich, B. Plückhahn: Klimatologischer Rückblick auf 2020: Eines der wärmsten Jahre in Deutschland und Ende des bisher wärmsten Jahrzehnts. Bericht des Deutschen Wetterdienstes (PDF) 7. Januar 2021.<

[DWD 2020]: F. Kaspar, K. Friedrich, F. Imbery: 2019 global zweitwärmstes Jahr: Temperaturentwicklung in Deutschland im globalen Kontext, Bericht des Deutschen Wetterdienstes (PDF) Stand 28. Januar 2020.