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Standpunkt

Innenstädte: Mit Steuern steuern oder mit Steuern gestalten?

Das Stadtbild wird sich nach Corona verändern, und zwar nicht zum Guten. Eine Revitalisierung der Innenstädte wird nötig sein. Manche Einzelhändler und Gastronomen werden die Pandemie nicht überstehen. Rettet uns eine Paketsteuer? Oder sind die Prioritäten der Kommunalhaushalte anzupassen?

Ein Beitrag von Carsten Kühl

Im politischen Berlin wird die Einführung einer Paketsteuer für den Onlinehandel gefordert. Sie soll zwei Effekte erzielen: erstens die Wettbewerbsvorteile des Onlinehandels gegenüber dem stationären Einzelhandel durch eine Verteuerung des Versandhandels reduzieren und zweitens Steueraufkommen generieren, das für die Revitalisierung der Innenstädte nach Corona benötigt wird.

Solche „Lenkungssteuern“ sind Verbrauchsteuern. Sie belasten Bezieher niedriger Einkommen relativ stärker als höhere Einkommen und ihr Steueraufkommen lässt sich nur schwer den Kommunen zurechnen, in denen Verbraucher mit der Paketsteuer belastet werden. Eine Paketsteuer würde deshalb wie andere indirekte Steuern vom Bund erhoben und vereinnahmt. Sie könnte zweckgebunden eingesetzt werden – auch wenn das im deutschen Steuersystem bisher (aus guten Gründen: Nonaffektationsprinzip) nicht üblich ist. Die Steuereinnahmen könnten dann nach einem Schlüssel auf die Kommunen verteilt werden.

Systematisch betrachtet stellt sich dabei die Frage, ob es ähnlich wie bei Ökosteuern sogenannte externe Effekte gibt, die mit Onlinehandel verbunden sind und durch die Paketsteuer kompensiert (internalisiert) würden. Bei der Ökosteuer sollen z.B. Belastungen der Umwelt, die nicht in der unternehmerischen Kosten- und Preiskalkulation berücksichtigt werden, „eingepreist“ werden.

Eine Paketsteuer kann nicht die durch den Onlinehandel erzeugten Probleme bereinigen

Der Versandhandel unterscheidet sich vom stationären Handel im Wesentlichen durch die Anlieferung der Waren, die wiederum überwiegend mit CO2-Emissionen verbunden ist. Es ist wenig überzeugend, aus diesem Grund eine spezielle Paketsteuer einzufordern. Es gibt bereits eine CO2-Abgabe, mit der die Umweltbelastung des motorisierten Individualverkehrs besteuert wird und die zumindest kalkulatorisch auch in die Preise der Onlineprodukte einfließt. Kunden des stationären Einzelhandels, die mit dem motorisierten Individualverkehr die Innenstädte anfahren, erzeugen letztlich aus dem gleichen Grund wie der Onlinehandel umweltschädliche Emissionen. Außerdem: Müsste die Paketsteuer dann auch bei denen erhoben werden, die ihre Waren mit E-Fahrzeugen oder Lastenrädern anliefern lassen? Müssten auch die stationären Einzelhändler die Steuer entrichten, die ihren Verkauf auf Onlinehandel, z.B. in Kombination mit stationären Verkaufs- und Showrooms, umstellen, um den veränderten Konsumentenpräferenzen Rechnung zu tragen und um ihre Wettbewerbsposition zu stärken?

Andere argumentieren, der Onlinehandel beschädige das öffentliche Gut „Funktionalität der Innenstadt“, ohne dass die Nutznießer sich an dem Schaden beteiligen. Die Begründung ist theoretisch überzeugend, aber daraus abgeleitete Maßnahmen sind schwer umsetzbar. Wer legt den Maßstab für Beeinträchtigung der Funktionalität fest? Und wie viele verschiedene Abgaben müssen erhoben werden, um alle potenziellen Beeinträchtigungen der Funktionalität der Innenstadt zu bepreisen? Letztlich muss jede Abgabenerhebung dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot standhalten.

Im Kern geht es um die Bedrohung des Einzelhandels und der Innenstädte durch den Onlinehandel.  Es geht also um fairen oder unfairen unternehmerischen Wettbewerb und darum, wie die Städte den Folgen eines potenziellen Strukturwandels für ihre Innenstädte begegnen sollten.

Unfairer Wettbewerb liegt aber nicht per se dann vor, wenn sich Konsumentenpräferenzen verändern und Marktanteile verschieben. Im Gegenteil: Das ist wettbewerbspolitisch grundsätzlich erwünscht. Es deutet aber vieles darauf hin, dass es keinen fairen Wettbewerb zwischen dem stationären Einzelhandel und den großen international agierenden Onlineanbietern gibt. Reine Onlinehändler sind per Definition schon nicht stationär und haben deshalb die besten Voraussetzungen, um internationale Steuergestaltungs- und letztlich Steuervermeidungspotenziale zu nutzen. Die daraus resultierenden Wettbewerbsvorteile sind eklatant. Während Amazon es in den Jahren 2017 und 2018 geschafft hat, sein unternehmerisches Ergebnis so zu gestalten, dass in den USA keine Steuerzahlungen angefallen sind, muss ein stationärer Einzelhändler in der Rechtsform einer Personengesellschaft seine Gewinne über 58.000 Euro in Deutschland mit 42 Prozent versteuern. Es ist Aufgabe der staatlichen Regierungen möglichst auf OECD-Ebene diesem Missstand – wenigstens durch eine unternehmerische Mindestbesteuerung und eine einheitliche Steuerbemessungsgrundlage – zu begegnen.

Viele Beschäftigungsverhältnisse bei großen Online-Anbietern – auch in Deutschland – sind prekär. Schlechte Bezahlung, schlechte Arbeitsbedingungen, unterdrückte betriebliche Mitbestimmung. Das gilt übrigens auch für die Lieferfirmen, die für die Onlinehändler arbeiten. Es ist Aufgabe der nationalen Arbeitsmarktpolitik diesen Missständen entgegen zu wirken.

Insolvenzen vermeiden und notwendige Transformation der Innenstädte vorantreiben

Andererseits leidet der Einzelhandel gerade in innerstädtischen Lagen unter zum Teil überteuerten Mietbedingungen. Renditegesteuerte Immobilienfonds und vermachtete Märkte sind Ursache dafür, dass die Mieten einen immer höheren Anteil der Betriebskosten im Einzelhandel ausmachen. Auch hier besteht Handlungsbedarf auf Seiten der nationalen Regulatorik.

Der Politik wird es vermutlich nicht möglich sein, kurzfristig die ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteile der Onlinehändler zu beseitigen. Sie sollte sie aber jetzt und konsequent angehen. Für ein zügiges Handeln bestehen zwei Optionen: Die Überbrückungshilfen müssen während der Pandemie solange fortgeführt werden wie erwartet werden kann, dass Geschäfte nicht auch ohne die Pandemie in die Insolvenz geraten würden. Und es müssen von Seiten des Bundes gezielte Förderprogramme aufgelegt werden, die eine Neuausrichtung der Geschäftsmodelle des stationären Einzelhandels unterstützen, z.B. die Transformation zu stationären Angeboten in Kombination mit onlinegestützten Lieferangeboten. Solche Maßnahmen wären wirksamer und zielgerichteter als die künstliche Verteuerung von Onlineangeboten durch eine Paketsteuer.

Das Stadtbild wird sich nach Corona verändern, und zwar nicht zum Guten. Manche Einzelhändler und Gastronomen werden die Pandemie wirtschaftlich nicht überstehen. Andere werden wegen des veränderten Konsumverhaltens einen Teil ihrer Läden schließen und parallel ins Onlinegeschäft einsteigen. Der Bedarf an Büroflächen – auch in innerstädtischen Lagen – wird zurückgehen, weil die Pandemie aufgezeigt hat, wo private und öffentliche Dienstleister Effizienzpotenziale durch die Ausweitung von Homeoffice nutzen können. Es ist eine originäre Aufgabe der Städte den drohenden Leerstand so zu gestalten, dass lebendige und funktionierende Innenstädte mit neuen Konzepten, die der jeweiligen örtlichen Situation angepasst sind, erhalten bleiben. Zum Beispiel Flächen für soziale Einrichtungen, Räume für kulturelle Angebote, mehr (bezahlbaren) Wohnraum in innerstädtischen Quartieren. Was dabei jeweils angemessen ist und was durchgesetzt werden kann, unterliegt dem Diskurs der Stadtgesellschaft und dem Stellenwert, den die politisch Verantwortlichen vor Ort dieser Aufgabe beimessen.

Diese wichtige Gestaltungsaufgabe erfordert öffentliche Mittel. Eine nachhaltige Stadtentwicklung kostet Geld. Die Einnahmen aus einer systematisch inkonsistenten und in ihrem Aufkommen unsicheren Paketsteuer erscheinen verlockend, sind aber das falsche Instrument. Bund und Länder werden dazu neigen, den Kommunen zu erklären, dass sie mit der Erhebung der Paketsteuer ihre „Schuldigkeit getan haben“. Transformationsprozesse in der Stadtentwicklung sind jedoch kommunale Kernaufgabe. Städten und Gemeinden sind daher die hierfür notwendigen Steuermittel in angemessener Höhe bereit zu stellen, wenn deren eigene Finanzkraft nicht ausreicht: Über den kommunalen Finanzausgleich und durch entsprechende Programmlinien im Städtebauförderungsgesetz, das schon immer den Anspruch hatte, neue Herausforderungen in der Stadtentwicklung planerisch und fiskalisch zu begleiten.

 

Vorabveröffentlichung des im März im Difu-Magazin Berichte 1/2021 erschienenen Textes.