Die osmanische Stadt im Wandel vom 19. zum 20. Jahrhundert
Das aktuelle Heft "Die osmanische Stadt" der über das Difu vertriebenen Fachzeitschrift "Moderne Stadtgeschichte" legt einen besonderen Fokus auf den Wandel im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert.
Die Herausgeber Nora Lafi (Berlin) und Florian Riedler (Gießen) heben in ihrer Einleitung besonders hervor, dass das überkommene Bild einer zu dieser Zeit stagnierenden, sich nur unter dem Modernisierungsdruck westlicher Einflüsse wandelnden städtischen Kultur dringend einer Korrektur bedarf. Im Kontrast dazu betonen sie, dass und wie die Städte zwischen Nordafrika und dem Balkan eigene innovative Konzepte – beispielsweise auf den Feldern der kommunalen Hygiene- und Infrastrukturpolitik – bereits vor dem und parallel zum Einzug westlicher Stadttechnik entwickelten.
Nora Lafi untersucht in ihrem Beitrag "Tunis als Laboratorium osmanischer Modernität: das Beispiel der Vorstadtbahn (1863-1881)" die Modernisierung der Transportinfrastruktur dieser osmanischen Provinzhauptstadt. Der Aufsatz von Nazan Maksudyan (Berlin) über "Feminist Perspectives to Ottoman Urban History" präsentiert neue Forschungsergebnisse der Gender- und Stadtforschung und hebt insbesondere die Bedeutung von Frauen in den Feldern von Philanthropie, Erziehung und Politik in der osmanischen Stadt des 19. Jahrhunderts hervor. Florian Riedler betont in seinem Beitrag "Segregation oder gemeinschaftliches Zusammenleben? Vom Umgang mit Vielfalt in der osmanischen Stadt" die Kluft zwischen der auf religiös definierte städtische Teilgesellschaften ausgerichteten staatlichen Verwaltung und den davon abweichenden kulturellen Praktiken im Alltag, in denen soziale oder regionale Unterschiede und Zuschreibungen eine größere Rolle spielten. In seinem Aufsatz "Zivilisations- und Urbanisierungsdiskurs im Spätosmanischen Reich" rekonstruiert Fabian Steininger den Bedeutungswandel von Urbanität im Osmanischen Reich, in dem es Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend zu einer Verklärung der Natur und des Dorflebens gekommen sei. Der Beitrag "Multinational Capital, Public Utilities, and Urban Change in Late Ottoman Istanbul: Constantinople Tramway and Electric Company" von Erol Ülker (Istanbul) analysiert die Infrastrukturentwicklung in der osmanischen Hauptstadt Anfang des 20. Jahrhunderts und stellt das Spannungsverhältnis zwischen den Interessen und Strategien ausländischer Investoren und lokaler Nutzer der elektrischen Straßenbahn in den Mittelpunkt. Den Themenschwerpunkt beschließt die Leitrezension, in der Florian Steininger das Buch von Noyan Dinçkal zur Geschichte der Wasserver- und Abwasserentsorgung in Istanbul vom späten 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts vorstellt.
In der freien Rubrik "Forum" präsentiert Dieter Schott (Darmstadt) neue Ergebnisse zur Lage der Städte im Ersten Weltkrieg, den Wahrnehmungen der Bevölkerung an der "Heimatfront" und den großen Herausforderungen für die Stadtverwaltungen in der Daseinsvorsorge. Sönke Friedreich beschreibt die Selbstwahrnehmung von Urbanität und Stadtqualitäten in der als "provinzielle Großstadt" apostrophierten Stadt Plauen im Vogtland um 1900. Im Berichtsteil, der wie immer über zurückliegende Tagungen im Feld der Stadtgeschichte informiert, fasst Isabel Glogar die Referate und Diskussion der "International Conference on Working Class Districts – Urbane Transformationen in der wachsenden Stadt" am 14. und 15. September 2017 in Wien zusammen, in deren Mittelpunkt die Geschichte der in der Industrialisierung entstandenen Arbeiterviertel stand. Kilian Fehr berichtet über die Konferenz "Kommunen im Nationalsozialismus" am 13. und 14. Oktober 2017 in Villingen-Schwenningen, und Zora Damová referiert die Ergebnisse der vom Archiv der Hauptstadt Prag veranstalteten Tagung "Die Stadt und ihre Mauern" am 10. und 11. Oktober 2017. Eine Vorschau auf zahlreiche kommende stadthistorische Konferenzen mit Hinweisen zu Websites und Deadlines rundet das Heft ab.
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Prof. Dr. Christoph Bernhardt
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