Foto: begrünte Fassade eines Wohnhauses
Fokusthema Corona

Klimaschutz und Klimaanpassung: Lernen wir aus der Corona-Krise?

Politik, Bevölkerung und Wirtschaft zeigen während der Corona-Pandemie ihre Fähigkeiten zur Krisenbewältigung, Solidarität und Veränderung. Darin besteht eine Chance für unseren Umgang mit dem Klimawandel.

Ein Beitrag von Jens Hasse, Anne Roth und Jan Walter

Deutlich geschrumpfte Stickoxid-Konzentrationen über allen Megastädten und Ballungsräumen der Welt und der möglicherweise stärkste Rückgang der CO2-Emissionen weltweit seit über 70 Jahren: Auch das sind beachtenswerte Auswirkungen der Corona-Krise. Nach Schätzungen des Thinktanks Agora Energiewende könnten die Klimaziele 2020 in Deutschland durch das deutlich verringerte Verkehrsaufkommen und den reduzierten Energieverbrauch der letzten Wochen doch noch erreicht werden.

Weniger Luftschadstoffe und Lärm in unseren Städten, mehr Platz für Rad- und Fußverkehr, die Rückkehr von Tieren in Siedlungs- und Gewerbegebiete und die zumindest temporäre Erholung von Ökosystemen und Naturressourcen wie bspw. die Wasserqualität der Lagune von Venedig – all das sind weitere relevante Umwelteffekte der Corona-Krise. Viele Menschen bemerken jetzt, wie viel angenehmer das Wohnen und Arbeiten sowie generell der Aufenthalt in unseren Innenstädten oder in der Nähe von Hauptverkehrsstraßen oder Flughäfen sein könnte.

Jetzt handeln: Wir können das!

Klar ist aber, dass weder die CO2-Reduktionen noch die positiven Umwelteffekte langfristig anhalten werden, wenn Klimaschutz, erneuerbare Energien und grüne Innovationen beim Hochfahren der Wirtschaft nicht berücksichtigt werden: Die Themen Klima- und Ressourcenschutz, Energiewende und Klimaanpassung gehören deshalb wieder an die Spitze der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Agenda aller Staaten und Institutionen.

Der Weg aus der Corona-Krise sollte jetzt als Chance genutzt werden, um nachhaltige, robustere und klar an den 2015 in Paris vereinbarten Klimazielen ausgerichtete Wirtschaftsstrukturen zu fördern. Dies fordern nicht nur Klimaschutzinitiativen, Umweltverbände und das Bundesumweltministerium schon lange, sondern unlängst auch die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag eines „European Green Deals“. Eine bundesweite Initiative von fast 200 Verbänden und Unternehmen in Deutschland, darunter der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft und der Verband kommunaler Unternehmen, richtete diesbezüglich einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin.

Wie in den letzten Wochen bei der Abwehr und Bewältigung der Corona-Pandemie muss es auch im Umgang mit dem Klimawandel heißen: CO2-Emissionen schnell und umfassend eindämmen und frühzeitig Vorsorge für nicht vermeidbare Klimafolgen betreiben. Corona hat gezeigt, dass „wir“ das können, wenn wir als Gesellschaft es müssen. Lassen wir diese Krise nicht ungenutzt!

„Listen to the Science!“

Es ist bemerkenswert, welche Akzeptanz wissenschaftliche Expertise aktuell in der politischen Arena genießt. Die Forderung der weltweiten Klimaproteste lautet zu Recht „Hört auf die Wissenschaft!“. Auch das klimapolitische Handeln – egal ob international, national oder vor Ort – muss sich in Zukunft klar an den Empfehlungen des Weltklimarats (IPCC), der Sachverständigenräte der Bundesregierung und anderer Institutionen der Klima- und Umweltforschung orientieren.

Hilfreich wäre zudem – analog zu den Fall- und Kennzahlen der Corona-Pandemie – eine tägliche Berichterstattung über die aktuellen CO2-Werte in der Atmosphäre, die aktuellen Treibhausgas-Emissionen der verschiedenen Sektoren, die Länderbilanzen usw. So sähen wir alle regelmäßig, wo wir im Kampf gegen die Klimakrise aktuell stehen und wo wir durch geeignete Maßnahmen nachsteuern müssen.

Nachhaltiges Wirtschaften first!

Was in der Corona-Krise möglich war, kann und sollte angesichts der wesentlich größeren und längerfristigen Bedrohung auch im Umgang mit der Klimakrise möglich sein: Die klare Ausrichtung aller staatlichen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und individuellen Aktivitäten auf die Erreichung der erforderlichen Treibhausgas-Reduktionsziele.

Anstrengungen von Unternehmen, Kommunen oder Individuen allein werden den Klimawandel nicht aufhalten. Es braucht einen umfassenden Umbau unserer Wirtschaftsstrukturen, die Transformation hin zu einem nachhaltigen Wirtschaften, in dem klima- und umweltgerechtes Verhalten gefördert und belohnt, klimaschädliches aber belastet und keinesfalls subventioniert wird. So könnten endlich auch die völkerrechtlich verbindlich (!) vereinbarten CO2-Reduktionsziele in der Landwirtschaft, bei der Wärme, im Gebäudesektor und im Verkehrssektor erreicht werden.

Deshalb ist es richtig, dass Ökonom*innen, Verbände, Unternehmen und zivilgesellschaftliche Organisationen unisono ein Konjunkturprogramm der Bundesregierung mit klarem Fokus auf Klimaschutz und Energiewende und auf Basis des europäischen „Green Deals“ fordern. Investitionen in Zukunftstechnologien und in den Umbau der Wirtschaft dienen der ökonomischen Wiederbelebung und dem Klimaschutz!

Die Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland betreiben seit Jahren mit Unterstützung der verschiedenen Bundesregierungen erfolgreich kommunalen Klimaschutz und zunehmend auch Klimaanpassung. Sie haben u.a. durch die Positionspapiere der kommunalen Spitzenverbände zum Klimaschutz, zum deutschen Klimaschutzgesetz sowie zur Klimaanpassung wichtige Beiträge zum öffentlichen Diskurs geleistet.

All dies wird jedoch nicht reichen. Lernen aus der Corona-Krise sollte eben auch für Kommunen kein einfaches „rebooting the city“ bedeuten, sondern eher ein „new booting“. Es muss ein Umdenken und ein Wandel in der realen Politik – im Sinne einer wirklich klimagerechten Stadt- und Wirtschaftsentwicklung und in Richtung einer „Post-Wachstumskommune“ – stattfinden.

Zur Verbesserung der Robustheit und der Vorsorge von Kommunen gegenüber Klimaänderungen und Extremwetterereignissen bedarf es der Sensibilisierung und Eigenvorsorge von Bevölkerung und Unternehmen sowie einer integrierten Hitze-, Starkregen- und Trockenheitsvorsorge. Dafür müssen die kommunalen Gesundheitsämter dringend mit mehr Kapazitäten und ausreichend umweltmedizinischer Expertise ausgestattet werden. Wesentlich wird auch sein, der Verbesserung der Umweltqualität, der klimabezogenen Gesundheitsvorsorge, der Schaffung von mehr grünen Räumen für Artenvielfalt und der Wiederverwendung von Niederschlagswasser in Stadtplanungen und Quartiersentwicklungen Priorität einzuräumen.

Kurzfristige Handlungsoptionen für (noch) mehr Klimaschutz in und durch Kommunen können die Umwandlung von Fahrspuren in Bus- oder Radspuren, die Schaffung von mehr Platz für urbanes Grün, Rad- und Fußverkehr, die Einrichtung stadtnaher P+R-Parkplätze und kostenfreier Pendel- und Lieferverkehre mit Elektro-Bussen und E-Taxen sein. Zudem sind kommunale Vorgaben und Anreize für mehr privaten Klimaschutz, Energie- und Wärmeeffizienz im Bestand, Photovoltaikanlagen auf allen geeigneten Dächern, mehr private E-Lade-Infrastruktur usw. zu schaffen. Bund und Länder sollten die Kommunen als wichtige Akteure im Umgang mit dem Klimawandel dabei unterstützen: Mit mehr Befugnissen, der Beseitigung von Hemmnissen und zusätzlichen Finanzmittel ohne Auflagen.

Solidarität und Vorsorge als Leitmotive für Klimaschutz und Klimaanpassung

Wir alle wissen, welche Ziele im Klimaschutz und in der Klimaanpassung erreicht werden müssen, um mindestens die 2-Grad-Zielmarke einzuhalten und einen wesentlichen Teil der auch bei uns aufgrund des Klimawandels zu erwartenden Risiken und Schäden zu vermeiden. Warum aber gelingt uns ein solidarisches Handeln in der Corona-Krise, nicht aber beim Klimaschutz? Solidarität mit denjenigen, die bereits heute stark betroffen sind und zukünftig noch mehr sein werden – und nicht zuletzt mit unseren eigenen Kindern und Enkel*innen, den zukünftig betroffenen Generationen?

Diese werden neben den Auswirkungen des demografischen Wandels und der enormen aktuellen Neuverschuldung auch die Folgen des Klimawandels tragen müssen. Zu Recht empfinden viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene das als nicht akzeptabel und beteiligen sich deshalb an den weltweiten Klimaprotesten. Langfristige Solidarität mit heutigen und zukünftigen Betroffenen und Vorsorge für die Zukunft müssen deshalb für Klimaschutz und Klimaanpassung unsere Leitmotive des Handelns und der Krisenbewältigung sein.

Der Beitrag ist in leicht gekürzter Form abgedruckt in: Stadt und Krise: Gedanken zur Zukunft. Difu-Berichte Sonderheft, Juni 2020.